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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Ort, um zu fragen, wann der nächste Bus nach Locarno zurückfuhr.
    »Domani«, erklärte mir eine derbe Person hinter groben Wurstzipfeln und fettem Käse an der Theke.
    »Was? Morgen? Aber warum geht denn heute kein Bus mehr?«
    Die Frau erklärte mir wortreich, dass heute ein Feiertag im Tessin sei. Und an Feiertagen fuhren nachmittags keine Busse mehr in die Zivilisation zurück.
    »Verdammt«, entfuhr es mir.
    Was sollten wir nur tun? Trampen kam mir in den Sinn. Aber bei dieser hochgefährlichen Straße mit den unbefestigten Rändern wollte ich uns auf keinen Fall irgendeinem wildfremden Menschen anvertrauen. Außerdem kam hier sowieso höchstens ein Auto pro Stunde vorbei. Das würde wohl kaum zwei Erwachsene und zwei Kleinkinder mitsamt Karre und Marschgepäck mitnehmen.
    Die Frau hinter der Theke erklärte mir, dass es einen Wanderweg auf der anderen Seite des Flusses gebe.
    In gut zwei Stunden könne man so nach Intragna gelangen, und von dort komme man mit der Centovallibahn wieder nach Locarno zurück. Genau dieser Weg stand ja im Wanderführer.
    Zwei Stunden, dachte ich. Das müsste gehen. Wir sind schon öfter länger gewandert. Wir hatten ja schließlich Katinkas Geländebuggy dabei. Falls der Weg zu steinig werden würde, könnte Emil sie tragen. Und ich konnte Paulinchen nehmen. Und die zusammengeklappte Karre würde ich schultern. Zur Not ging alles. Was sonst hatten die Frauen aus diesem Dorf jahrhundertelang gemacht? Und wenn es regnete, würden wir eben nass.
    Ich kaufte bei der derben Wirtin noch ein paar trockene Kekse, falls meine Lieben Hunger kriegen würden, und bedankte mich für den Rat.
    Am Ende der Straße führten Hunderte von alten, abgetretenen Stufen sehr steil in den Wald hinab.
    »Na bitte«, sagte ich zu Emil. »Kleines Abenteuer gefällig?«
    »Mit dir muss ich mich nie langweilen«, antwortete Emil.
    Wir klappten den Buggy zusammen, banden ihn mir auf den Rücken, Emil nahm den schweren Rucksack und Katinka, ich schnallte mir das Paulinchen vor den Bauch.
    Wir machten uns beherzt auf den Weg. Die ersten Tropfen fielen, als wir etwa hundert ungleiche Stufen hinabgestiegen waren. Die Treppe nahm überhaupt kein Ende. Sie war glatt und rutschig, denn der Herbst hatte hier in der rauhen Gebirgsgegend schon seine Spuren hinterlassen. Nasse Blätter und Zweige klebten auf den unzähligen ausgetretenen Stufen. Zwischendurch trafen wir immer wieder auf vereinzelte bescheidene graue Steinhäuser, die in den Fels gehauen waren. Sie waren verlassen, seit vielen Jahren schon. Hier hatten wirklich Menschen gelebt, und sie waren bestimmt täglich diese endlose Treppe hinaufgewandert, um in den Dorfladen zu gelangen, wo es Seife und Strümpfe und Tomaten und Käse gab. Ab und zu gerieten wir ins Rutschen. Dies hier war vermutlich gefährlicher, als auf der Landstraße zu gehen. Doch der Weg mit den tausend Kurven wäre noch viel weiter gewesen. Wir zogen unsere Jacken aus und wickelten sie um die Mädchen.
    »Verdammt«, sagte ich immer wieder. »Dass uns das passieren musste! So eine Fehlplanung!«
    Emil sagte nichts. Das war das Wunderbare an ihm, dass er mir nie Vorwürfe machte, egal, in welchen Schlamassel ich ihn auch reinzog. Er ging tapfer weiter mit Katinka auf dem Arm und versuchte, auf seinen Turnschuhen nicht auszurutschen. Die Treppenstufen gingen in einen steilen Pfad über, der steinig war und glitschig zugleich. Aus dem Tröpfeln wurde ein starker Regen. Dicke, kalte Tropfen platschten auf uns herab. Ich bekam Panik. Was, wenn einer von uns hier ausrutschte? Der Andere konnte unmöglich mit zwei Kleinkindern wieder ins Dorf hinaufsteigen. Weit und breit begegnete uns kein Mensch. Unsere Füße suchten Halt, Schritt für Schritt, die Kinder wurden unendlich schwer, und ich bekämpfte mit aller Macht die schwarzen Punkte, die mir vor den Augen tanzten. Zum Umkehren war es längst zu spät.
    Endlich, nach einer Ewigkeit, waren wir unten. Der Regen prasselte auf uns herab. Der steile Pfad führte über eine schmale Hängebrücke. Unter uns brodelte der reißende Fluss. Das Wasser klatschte rechts und links schäumend an riesige Felsen. Mehrere Bäume waren bereits abgeknickt, und ihre Äste schleuderten in dem dahinschießenden Gewässer hin und her.
    »Nur nicht hinsehen«, beschwor ich Emil und mich. Vor meinem Mund bildeten sich weiße Rauchwölkchen. Plötzlich war es bitterkalt. Wir froren und schwitzten gleichzeitig.
    »Festhalten und geradeaus gehen. Nicht

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