Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
eine Familie, wir gehörten zusammen, er war kein Fremder mehr. Die Kinder liebten ihn, Katinka ganz besonders, sie liebte ihn zärtlich und besitzergreifend, die Jungen liebten ihn auf ihre rauhbeinige und großmäulige Art. Emil benutzte längst die gleichen Worte wie sie, es gab schon lange keine Sprachbarrieren mehr. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er jemals wieder aus unserem Leben verschwinden würde.
Und ich wollte es mir auch gar nicht vorstellen.
An Emils zwanzigstem Geburtstag bekamen wir beide Post von seiner Mutter. Emil zog sich mit dem langen Brief in sein Zimmer zurück. Ich nahm das Schreiben, das an mich gerichtet war, mit in den Garten, wo die Kinder auf ihrer Wolldecke saßen und mit Legos spielten.
»Please love my son«, schrieb Emils Mutter mit ihrer eckigen Handschrift. »He needs you as a very good friend. He is a wonderful boy with great feelings for his family. He had a very bad time before travelling to Germany. Give him a home and give him your heart.«
Klar, dachte ich, mach ich doch, wenn du wüsstest, wie sehr ich das alles schon tue, mehr, als mir lieb ist und dir wahrscheinlich auch.
An diesem Nachmittag lud ich meine ganze Familie und Emil zur Feier seines runden Geburtstages ganz fein zum Essen ein. Das konnte ich inzwischen ohne Probleme. Wenn mir einer etwas zum Essen angeboten hätte, hätte ich nur mitleidig gelacht. Essen? Wie kann man nur! Ich wusste nicht, dass Fasten so einfach war! Es war reine Gewöhnungssache. Ich entbehrte nichts. Im Gegenteil. Meine Glückshormone purzelten immer öfter durcheinander.
Wir setzten mit einem Schiff über von Ascona zur Isola di Brissago. Der See lag dunkelblau und ruhig da. Ein schattiges, elegantes Gartenrestaurant lud zum Verweilen ein. Die Jungen ließen sich sofort hungrig auf die fein bespannten Stühle fallen. Sie hatten ja auch seit mindestens zwei Stunden nichts mehr gegessen. Dass ich seit zwei Wochen nichts mehr gegessen hatte, interessierte sie nicht.
»Die magersüchtige Mama will sowieso nichts essen«, sagte Karl und grapschte nach der Karte. »Gibt’s hier wenigstens Pommes frites?«
»Hier gibt’s alles, was das Herz begehrt«, sagte ich. »Bei den Preisen!«
Es fiel mir nicht schwer, für mich nur Mineralwasser zu bestellen. Auf etwas anderes hätte ich gar keine Lust gehabt. Aus lauter Solidarität wollte Emil ebenfalls nichts essen. Auch während unserer Wanderungen ernährte er sich ausschließlich von prallen, reifen Beeren, von Pflaumen und Äpfeln und Birnen, die man im Vorbeigehen von den Bäumen pflücken konnte. Wir waren wie Adam und Eva im Paradies. Nur dass mich noch keine Schlange verführt hatte. Und Eva Adam natürlich auch noch nicht.
»Doch«, sagte ich, »du bestellst dir jetzt eine Riesenportion Spaghetti und einen großen, krossgebratenen Fisch, frisch aus dem See.«
Der Kellner kam herbeigeeilt, nahm die Bestellung auf und ließ seinen Blick wohlwollend über die vier Kinder und Emil schweifen. Er gönnte mir einen anerkennenden Blick: »Complimenti, Signora. Cinque bambini belli.« Damit schwebte er davon.
»Arschloch«, murmelte ich.
»Was hat der gesagt, Mama?«
»Er hält mich für eure Mutter«, sagte ich kraftlos.
»Wieso? Das bist du doch auch!«
»Aber er hält mich auch für Emils Mutter!«
»Na und! Warum ist er deshalb ein Arschloch?«
»Weil ich nie und nimmer so alt aussehe, als wäre ich Emils Mutter!«
»Meine Mutter ist jünger als du«, gab Emil zu bedenken. »Du könntest wirklich meine Mutter sein!«
»Danke«, sagte ich säuerlich. Bis vor zwei Wochen hätte mir das gar nichts ausgemacht! Aber jetzt. Es war eine hinterhältige, unter die Gürtellinie gehende, pietätlose Beleidigung von diesem unflätigen italienischen Macho. »Dieser vorlaute Kellner kriegt von mir keinen Rappen Trinkgeld!«
»Was bist du denn für Emil, wenn du nicht seine Mutter bist?«, fragte Oskar plötzlich mit List und Tücke.
Emil sah mich an. Mir gefror das Blut in den Adern. Du milchjunger Knabe, was schaust du mich an? Was haben deine Augen für eine Frage getan? Junge, schau weg. Du bist ein Kind. Auch wenn du jetzt zwanzig bist. Das gehört sich nicht. Ich bin immer noch doppelt so alt wie du.
»Hahaha, die Mama ist Emils Geliebte!«, platzte Oskar plötzlich laut heraus. Karl fand das ebenfalls sehr lustig. Die Beiden lachten dreckig.
Ich schaute mich peinlich berührt um. »Psst, Kinder, nicht so laut!«
Aber das brachte die Beiden nur dazu, noch lauter zu lästern.
Weitere Kostenlose Bücher