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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Für Katinka hatten wir einen Geländebuggy dabei. Wir waren wild entschlossen, sämtliche Fastenwanderungen mitzumachen, Emil und ich. Auch wenn Karl und Oskar vor Bewegungsunlust weinten.
    »Wollen die alle mit?«, fragte Annegret bestürzt.
    »Nee«, heulte Karl. »Nicht im Geringsten.«
    »Kommt drauf an, wohin«, sagte Oskar finster.
    »Wir wandern heute etwa dreißig Kilometer«, sagte Annegret. »Ich will euch an eure Grenzen führen, damit ihr in euer Innerstes vorstoßt.«
    »WAS?«, schrie Karl. »Kein Bock. Das mach ich nicht. Die Mama spinnt. Sie selber kann ja in ihr Innerstes vorstoßen, aber ich mach das nicht! Die kann auch verhungern, wenn sie das cool findet, aber ohne uns, ja?«
    Ich schämte mich vor all den gütigen und sanftmütigen Menschen, die mit ihren Kräuter- und Entschlackungstees im Rucksack dastanden und darauf warteten, endlich an ihre Grenzen geführt zu werden.
    »Geht ihr allein«, sagte ich schließlich. »Ich bleibe mit den Kindern hier.«
    Sofort sprangen die Kinder begeistert an mir hoch und bedeckten mich mit feuchten Küssen.
    »Du gehst mit«, sagte Emil. »Ich mache das hier!«
    »Du solltest dir wirklich Zeit für dich gönnen«, sagte Annegret. »Es ist wichtig, dass du von allen Dingen des Alltags Abstand nimmst.«
    Ich schaute hin und her. Einerseits hatte ich unbändige Lust zum Wandern in dieser paradiesischen Gegend. Andererseits war ich schon viel zu oft von den Kindern getrennt. Nein. Dies war unsere Zeit. Ich konnte auch mit den Kindern in mich gehen.
    »Die Kinder sind keine Dinge des Alltags«, sagte ich entschieden. »Und Abstand muss ich von ihnen sowieso nicht nehmen.«
    »O.K., wie du meinst«, sagte Annegret. »Aber ich glaube nicht, dass du auf diese Weise das Fasten durchhältst.«
    »Oh, da kennen Sie meine Mutter schlecht«, grinste Karl. »Was die sich in den Kopf gesetzt hat, das macht die auch!«
    Und von Stund an gingen Emil und ich mit den Kindern allein.
    Zwei Tage später hatten die Großen im Hotel Anschluss gefunden. Es gab mehrere Schweizer Familien, bei denen die Eltern fasteten und die Söhne keinen Bock auf Wanderungen hatten. Wandern ist in dem Alter voll das Letzte. Mir sollte es recht sein. Hauptsache, den Jungs ging es gut, und sie bewegten sich an der frischen Luft. Sie tobten und schrien den ganzen Tag, sie spielten Fußball und gingen im Fluss baden, sie lieferten sich Schlachten im Swimmingpool und unternahmen Fahrradausflüge. So reduzierte sich unser Wandertrupp auf Emil, die Mädchen und mich.
    Manchmal saßen wir mittags auf einer Wolldecke, die schlafenden Mädchen auf dem Schoß, und schwiegen. Ich studierte die Wanderkarte, und Emil hing seinen Gedanken nach. Sein Blick war so verträumt, und seine Seele war so weit weg, dass ich nicht wagte, ihn zu stören. Und dann konnte er wieder mit Katinka toben, von einer Sekunde auf die Andere war er ein übermütiger großer Junge. Er nahm sie huckepack und rannte mit unbändiger Kraft und Lebensfreude über satte Wiesen, so schnell kam ich mit Paulinchen gar nicht nach. Er wickelte sich und Katinka in die Wolldecke und rollte mit ihr im Arm den Berg hinunter, begleitet von Lachen und Quietschen. Er konnte albern sein und Blödsinn machen, er konnte Tierstimmen imitieren, täuschend echt, er kletterte rasend schnell auf Bäume, sprang über Bäche und Gräben, baute fürsorglich Stege für mich und Katinka, und wenn wir über einen Wildbach balancieren mussten, reichte er uns ritterlich die Hand, um gleich darauf in voller Montur und mit Absicht in diesen Wildbach zu fallen. Katinka und ich standen am Ufer und lachten und staunten. Da kam er heraus, triefend und prustend, schüttelte sich wie ein junger Hund und rannte wieder los, schlug Purzelbäume und machte wilde Sprünge wie ein Fohlen, gackerte, muhte, miaute, und wenn ein Auto uns entgegenkam oder ein Trecker, schrie er begeistert »Ahoi!« und warf seine Kappe in die Luft. Ein Ausbund an Lebensfreude war dieser Bursche! So hatte ich ihn noch nie kennengelernt.
    Aber da waren immer wieder diese ganz leisen Phasen, in denen er still und in sich gekehrt war und nicht sprach, nicht zu Scherzen aufgelegt war und einfach nur stundenlang neben mir herging. Doch seine Stimmungen hatten nichts mit mir zu tun, das hatte ich inzwischen gelernt. Er konnte unbeleidigt still sein. Und er war der einzige Mensch, mit dem auch ich unbeleidigt schweigen konnte.
    Wir waren uns sehr nahe, ohne diese Tatsache jemals in Worte zu fassen. Wir waren

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