Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
»Emils Geliebte, Emils Geliebte«, posaunten sie durch das feine Gartenrestaurant.
»Quatsch!«, schrie ich plötzlich und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »So einen Blödsinn will ich nie wieder hören! Klar?«
Die Kinder guckten wie vom Donner gerührt. So hatten sie mich noch nie schreien hören. Geschweige denn auf den Tisch hauen. Und das in einem feinen, teuren Gartenrestaurant.
Der Kellner kam besorgt herbeigeeilt. »Tutto bene, Signora?«
»Tutto bene«, grollte ich. Aber meine Laune war im Keller. Auf einmal empfand ich es als Zumutung, den Anderen beim Essen Zusehen zu müssen. Der Geruch von den frischen Spaghetti und dem dampfenden krossen Fisch machte mich rasend. Ich schnappte mir das Paulinchen, legte es in den Kinderwagen und fuhr wütend über den Kiesweg davon.
Abends gesellte ich mich wie immer treu und brav zu der Fastengruppe. Man gönnte sich ein Tässchen durchgeseihte Gemüsebrühe, zelebrierte über Kerzen und Kieselsteinen das abendliche lauwarme Glas Bittersalz und war sich ansonsten sehr nahegekommen. Längst war die eine oder andere Seele übergelaufen, die Zwillingsschwestern hielten sich oft und gern weinend an den Händen, das Ehepaar arbeitete auch so seine Krisen auf, die Manager liefen nun nicht mehr in gestreiften Hemden, sondern in buntbedruckten T-Shirts und Shorts herum, die zähen, altbackenen Mehrfachfaster waren ganz in ihrem Element und wollten von ihren groben Bürsten und Kaltwaschungen gar nicht mehr lassen. Man diskutierte beim Schlürfen des Rote-Bete-Gebräus den fachgerechten Gebrauch des Einlaufs und wägte das Für und Wider von zusätzlicher Dreingabe von Glaubersalz ab. Die dicken Damen verkündeten stolz, dass sie schon sechs bis acht Kilo abgenommen hatten.
Ich saß da in dem Stimmengewirr und ließ Wortfetzen wie »Essphantasie«, »Armguss«, »Leinsamenpaste«, »Trockenpflaumenmüsli«, »Blattsalat«, »Blutfettgehalt«, »Leibkrämpfe«, »Ausscheidungsvorgänge«, »gedünsteter Grünkernauflauf«, »Hülsenfrüchte«, »depressive Verstimmung«, »Darmreinigung«, »Cellulite«, »englischer Selleriesalat«, »feuchtheiße Packung«, »Gärungsprozesse im Darm«, »chronische Adipositas«, »Dickmilch mit Molke«, »Harnsäure«, »Getreidemühle«, »Rohkostplatte« und »Glyzerinzäpfchen« an mir vorbeiwabern.
Meine Gedanken waren bei Emil. Und ich lächelte genauso abgeklärt in mich hinein wie die seligen Faster.
Einige Tage später passierte es dann.
Wir waren mit dem Postbus in ein verschlungenes Tal namens Onsernone-Tal gefahren, weil wir alle anderen Wanderungen schon kannten. Es war eine halsbrecherische Fahrt – die Straße wand sich in vielen hundert Haarnadelkurven an steilen Schluchten und senkrechten Abgründen vorbei. Vor jeder Kurve hupte der Fahrer, und wie durch ein Wunder kam niemand entgegen. Immerhin hatten wir die zwei kleinen Mädchen dabei. Mir war gar nicht wohl. Da hatte ich uns überschätzt. Die Wanderung wurde zwar im Wanderführer als »mittelschwer« bezeichnet, aber niemand hatte uns empfohlen, zwei kleine Mädchen mitzuschleppen. Niemand. Und das mit meinem völlig leeren Magen.
»Das ist mir zu gefährlich«, sagte ich nach einer Dreiviertelstunde. »Wir steigen bei der nächsten Haltestelle aus und nehmen den Bus nach Locarno zurück!«
In einem verwunschenen Dorf namens Loco stiegen wir an der Post aus. Uralte Häuser säumten den Straßenrand, nur ganz selten kam hier noch ein Auto vorbei. Wohin sollte es auch fahren? Das Tal musste bald zu Ende sein. Dort hinten war schon die italienische Grenze. Einige alte Mütterchen mit Reisig auf dem Buckel schlurften umher, im Dorfladen gab es alles, vom Wurstzipfel bis zur Damenstrumpfhose, doch es waren fast keine Menschen zu sehen, die Fensterläden waren fast alle verrammelt, und überhaupt schien hier die Zeit stillzustehen. Ich wusste, dass aus vielen abgelegenen Dörfern des Tessins die jungen Leute abgewandert waren, um in der Stadt zu leben und zu arbeiten. Ich fühlte mich unbehaglich. Zwar wollte ich Natur, Schroffheit der Felsen und gigantische Abgründe, ich hatte auch Lust, Emil diese ursprüngliche Landschaft und ihre Menschen zu zeigen, aber ich wollte uns doch nicht in Gefahr bringen. Nun sah es auch noch nach Gewitter aus! Dicke schwarze Wolken standen über den Bergrändern. Drüben zuckten bereits Blitze.
Emil wartete mit den Kleinen am Dorfbrunnen, Katinka spielte und warf Steinchen ins Wasser, und ich ging in die einzige Kneipe im
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