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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Macht über Nougatriegel und Eislümmel, Macht über Konzerne und Knete, Knete, Knete. Macht, mich zu kaufen und zu verändern, zu drehen und zu biegen, wie der Fernsehzuschauer mich wollte. Macht, den Daumen rauf oder runter zu halten. Macht, eine Sendung einzuschalten oder wegzuzappen. Macht, ihre Zustimmung oder Ablehnung ins Internet zu spucken und dort festzutreten wie Hundekot auf einem Bürgersteig.
    Meine Gedanken kehrten immer wieder zurück zu Emil. Mein Gott, ich hatte mich doch wirklich in ihn verliebt! Es war dieses süße, schwere Ziehen im Bauch, irgendwo unterhalb des Nabels, das ich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte, von dem ich glaubte, dass ich es nie wieder fühlen würde. Zertrümmert, zertrümmert …
    Alle Gedanken, die ich hatte, mündeten nach spätestens zwanzig Sekunden wieder bei ihm.
    In Gedanken strich ich immer wieder über seine kratzigen Knabenwangen, küsste seine weichen, vollen Lippen, spürte seinen Atem an meinem Hals, hörte seine verwunderten kleinen Geräusche, die er von sich gab, wenn er mich küsste, wenn er mich umarmte, wenn er mich an sich drückte. Er konnte ein Schelm sein, ein Lausbub, einer, der barfuss über die Wiese rannte und über Zäune sprang, einer, der Fallrückzieher mit dem Baby im Arm machte und den Abhang herunterkullerte, der die Kinder zum Quietschen brachte, wenn er Stimmen imitierte. Wie ein junges Pferd konnte er springen und um sich treten und mit den Jungen raufen und Fußball spielen und sich im Dreck wälzen. Aber er konnte auch ein Mann sein. Das hatte ich mir vorher nicht ausgemalt. Warum auch. Ich wäre im Leben nicht auf den Gedanken gekommen, in diesem großen, unausgegorenen Jungen, der mal traurig und zurückgezogen war, und dann wieder herumtobte und Purzelbäume schlug, einen Mann zu sehen. Einen zärtlichen, reifen, erwachsenen Mann, einen wunderbaren Liebhaber. Nein. Das hatte ich mir alles nicht ausgemalt.
    Und jetzt? Jetzt musste ich es mir nicht mehr ausmalen.
    Jetzt brauchte ich mich bloß zu erinnern. An gestern. An vorgestern. Und auch an morgen und übermorgen. Aber auch an nächstes Jahr? Nein. An nächstes Jahr wollte ich mich überhaupt noch nicht erinnern.
    Nächstes Jahr, Emil, da springst du wieder als gemeiner Wald- und Wiesen-Schelm durch Südafrika, du wirst studieren, und eine Freundin wirst du haben, eine süße, hübsche kleine Freundin, und wenn du klug bist, wirst du ihr ein bisschen von deinem Jahr in Deutschland erzählen. Aber nicht allzu viel.
    Wir fuhren gerade durch den Gotthardtunnel. Nur Lampen kamen uns entgegengesaust. Ich starrte wieder ins Leere. Mein Gott, Karla. Unmöglich! Du hast deine Kinder betrogen! Mit ihrem Babysitter! Wahnsinnig! Alte Schabracke. Wie kannst du dich an einem unschuldigen Knaben vergehen? Du bist vollkommen verrückt, du verlierst die Kontrolle über dein Leben, außerdem machst du dich lächerlich! Ja, du machst dich absolut lächerlich. Bei alten Männern und jungen Mädchen, da ist das was anderes, für Männer in den besten Jahren hat man Verständnis, die dürfen sich das mal leisten, bei dem, was sie leisten. Einen kleinen Ausrutscher. Ein Kavaliersdelikt. Ihre Frauen verzeihen ihnen. Und wenn nicht, dann heiraten die Herren eben die junge Kandidatin. Wie die Politiker. Das findet die Gesellschaft gut. Das ist absolut angesagt, völlig trendy und normal. Aber du? Karla Stein? Du machst dich nur zum Gespött. Oder sogar strafbar? Bestimmt ist das strafbar. Unzucht mit Abhängigen. Mama, ey. Du bist voll durchgeknallt. Voll bescheuert. Schäm dich, Mama. Aber echt.

In München war gerade das Oktoberfest zu Ende. Dichtgedrängt schoben sich die Leute mit ihren Federhüten und Lederhosen durch die Straßen. Der Fahrer fuhr bis auf den Marienplatz. Weil wir ja so wichtig waren. Nicht wir, aber Karl Lagerfeld. Das Happening eben.
    Geht, Leute, kusch, kusch, hier kommt die Prominenz. Früher hätte ich das genossen. Heute war es mir schlichtweg egal. Der Fahrer fuhr bis unmittelbar vor den Eingang eines gläsernen Edelcafes. Weiter kam er beim besten Willen nicht. Die Leute gingen kopfschüttelnd um uns herum.
    Da stand schon Oda-Gesine im Gedränge, aufgeregt und mit wallendem Gewände, und hatte ein Handy in der Hand.
    Sie umarmte mich mit großer Geste und versicherte immer wieder, wie dankbar sie mir sei, dass ich es doch möglich gemacht hatte zu kommen, und wie wichtig dieser Fototermin sei und wie ungemein gut ich aussähe, wie ein neuer Mensch, rank und

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