Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Leben nicht auf die Idee gekommen, Paul eine Unterhose zu kaufen, mir vorzustellen, wie sein Hintern darin aussehen würde, und auch nicht, mir diese Unterhose in GESCHENKPAPIER einwickeln zu lassen. Und sie dann stolz und glücklich auf der Kinderwagenablage durch die Stadt zu fahren. Ich fühlte mich ertappt wie eine aus der Anstalt entwichene Irre, als ich für fünfundachtzig Franken zwei Unterhosen von Calvin Klein kaufte. Mir stieg die heiße Röte ins Gesicht, als ich sie Emil später überreichte. Wie peinlich! Ich hatte noch nie im Leben einem Menschen eine Unterhose überreicht, erst recht nicht in einer edlen Geschenkpackung in Seidenpapier und mit Schleife drum. Puterrot wie eine dumme Gans muss ich ausgesehen haben, als er sie auspackte, es war mir peinlich, und ich war glückselig zugleich, völlig verrückt, bar jeder Vernunft und jedes praktischen Sinnes. Ein dunkeler Schacht ist Liebe, ein gar zu gefährlicher Bronnen! Da fiel ich hinein, ich Arme, kann weder hören noch sehn, nur stöhnen, nur stöhnen in meinem Wehn!
Emil hatte sich mit seiner Habe in sein Zimmer zurückgezogen, und dann klingelte das Telefon, und Emil sagte mit verstellter Stimme: »Sie sollen nach Nebenzimmer kommen!«, und ich wackelte mitsamt dem Kinderwagen und Katinka an der Hand über den Flur, verliebt, verschossen, beglückt, ein kichernder Teenager im Körper einer vierzigjährigen vierfachen Mutter, ich brabbelte: »Du bist total verrückt, du hast voll den Schuss, Mama, das ist das Fasten-Endorphin«, und da lag er hingestreckt auf dem Glastisch, auf dem sonst immer diese Obstschale stand, hingestreckt, mit einer späten, reifen Herbstblume im Mund, und hatte diese schwarze Unterhose von Calvin Klein an. Die Schleife von dem Geschenkpaket hatte er sich um den Hals gebunden. Und wie er lachte, wie er strahlte, wie er spitzbübisch vor sich hin gluckste! Verzicht, o Herz, auf Rettung, dich wagend in der Liebe Meer. Denn tausend Nachen schwimmen, zertrümmert, zertrümmert am Gestad umher.
Alles, alles Schwere und Verschlossene und In-sich-Gekehrte und Traurige, das man bei ihm bisher so oft gespürt hatte, war wie weggeblasen. Er war eine Last los. Und ich auch. Er war ein übermütiger, sorgloser Junge.
Katinka jubelte. »Guck mal, was der Emil da macht! Der hat sich verkleidet!« Sie begriff nicht die tiefe Bedeutung dessen, was wir dummen, alten, jungen Erwachsenen da taten.
Ich lehnte an der Tür und fühlte diese alberne unangesagte Röte im Gesicht und dieses Zusammenziehen im Unterbauch, das ich vor zehn oder zwanzig oder dreißig oder fünfzig Jahren zuletzt gespürt hatte.
»Du bist ein Schelm!«
»Was ist das, ein Schelm?!«
»Ein Schelm eben! Das ist ein altdeutsches Wort.«
»Ich kenne nur Regen-Schelm. Bin ich ein Regen-Schelm?«
»Ja«, sagte ich und biss mir auf die Lippen. »Der gemeine Regen-Schelm. Kommt nur in Südafrika vor. Nach einer großen Dürre. Da sieht man ihn vereinzelt. Aber nur, wenn man genau hinguckt.«
Und das tat ich dann auch. Später. Als die Kinder im Bett waren. Meilenweit entfernt vom Strande.
Der Fahrer sah im Rückspiegel, dass ich in seliges Grinsen versunken war. Es war mir egal. Ich dachte nach. Dachte an Emil und die Kinder. An unsere gemeinsamen Ausflüge, unser albernes Herumtollen auf der Wiese, unsere halsbrecherischen Bootsfahrten auf dem See, unsere Fahrradtouren, unser Hocken auf dem Mäuerchen, wenn die Kinder mit den großen Schachfiguren spielten, unser abendliches Ritual beim Baden der Kinder und unser anschließendes Zusammensitzen auf der Terrasse mit Mineralwasser und Kräutertee. Unser heimliches Händchenhalten, wenn wir uns unbeobachtet fühlten.
Ich sehnte mich mit jeder Faser meines Herzens nach all dem und fühlte, dass ich es gar nicht wirklich war, die hier im Wagen saß und zu einem Fototermin fuhr, das war jemand anderes, das war irgendeine »Wört-Flört«-Moderatorin aus Plastik, irgendeine Hülle, die versuchte, in ein Schema zu passen, in eine Schablone, auf eine Homepage im Internet. Es war eine Person oder, besser, eine Unperson, die mit mir nichts gemein hatte, und sie fuhr in eine Welt, die auf so abstruse Sachen wie Outfit und Image Wert legte, die sich um Einschaltquoten scherte und Marktanteile. Die sich von einem Herrn Bönninghausen fernsteuern ließ und die einer fetten alten Schabracke wie Oda-Gesine zu Willen war. Und das nur, weil Oda-Gesine einer Masse von Leuten zu Willen war, die auf unerklärliche Weise Macht hatten.
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