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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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natürlich nicht, und wir haben uns gedacht, wir müssen die jungen Leute abholen, und die kriegen wir mit angesagten Jugendmagazinen. Also, es geht um keinen Geringeren als Karl Lagerfeld, der will eine Modesession mit dir machen.«
    Modesession. Wenn ich das Wort schon hörte! Ich sah mich schon wieder in einem dieser grässlichen samtenen, kackfarbenen Hosenanzüge. Und mit völlick girliemäßick gelverklebten Haaren und Hornklämmerchen.
    »Der platziert das dann zusätzlich im ›stern‹ und in der ›Gala‹ und in der ›Frohen Mutter‹, das ist genau die gesellschaftliche Bandbreite, die wir brauchen. Damit decken wir eine riesige Zuschauerschicht ab, und du kommst wahnsinnig sympathisch rüber, wir testen jetzt mal einen neuen Maskenbildner, der stylt dich ganz girliemäßig und natürlich …«
    »Oda-Gesine! Hör auf! Ich mag nicht!« Ich verspürte Brechreiz, obwohl ich seit zweieinhalb Wochen nichts im Magen hatte.
    »Du hast doch schon kiloweise abgenommen, oder nicht?«
    »Ja! Aber darum geht es doch nicht …«
    »Doch! Wir müssen dich unbedingt von der Muttischiene runterkriegen. Ich hab hier noch einige sehr böse Verrisse, im Internet gibt’s leider eine ganze Seite, die Anti-Karla-Stein- Homepage, da herrscht immer noch dieser hasserfüllte Ton: nach dem Motto, schafft die dicke Oberlehrerin weg, eine Mutti haben wir selbst zu Hause, wir wollen einen jungen Moderator mit Akzent. Leider. Ich wollt’s dir ja nicht sagen, aber die Überschrift lautet: Tötet Karla Stein!«
    Oda-Gesine wartete. »Bist du noch dran?«
    »Ja«, würgte ich hervor.
    »Das sind zwar alles Psychopathen, die das schreiben. Aber im Internet kann halt jeder Idiot seinen geistigen Müll entsorgen, und so was potenziert sich in den Köpfen der Leute. Das wirkt sich enorm auf die Quote aus. Wir MÜSSEN dem entgegenwirken! Mit einer gezielten Modeproduktion kriegen wir zumindest die Frauen wieder auf deine Seite. Und eben die jungen Leute. Die JUNGEN müssen wir kriegen, Karla. Mit allen Mitteln. Also weg von der Oberlehrerin. Wir müssen dich völlig anders präsentieren. Und dafür kriegen wir KARL LAGERFELD!«
    »Oda-Gesine, lass gut sein! Nimm einen jungen Mann mit Akzent!«
    »Wir haben einen Vertrag, Karla!«
    »Ich weiß.«
    »Wir werden jetzt noch bis zum Ende der Spielzeit kämpfen. Wenn die Quoten sich bis dahin nicht gefangen haben, kannst du das Handtuch werfen. Dann hat mein Experiment eben nicht funktioniert.«
    »Es fällt mir im Moment sehr schwer, dein Experiment zu sein.«
    »Darf ich dich an dein Honorar erinnern?«
    »Ist ja schon gut!«
    »Hey, Schätzchen. Wo ist dein Kampfgeist?«
    »Ich mag nur um Dinge kämpfen, die sich lohnen!«
    »Was ist los, Karla, hast du mit deinen überflüssigen Pfunden auch deine Power verloren?«
    »Quatsch. Also. Sag schon. Wann muss ich wo sein?«
    Sie schickten mir sogar einen Fahrer. Er holte mich in einer schwarzen Mercedes-Limousine der S-Klasse ab. Zu diesem wahnsinnig wichtigen Foto-Event mit Karl Lagerfeld in München. Als wenn der ausgerechnet auf mich gewartet hätte. Es berührte mich überhaupt nicht. Früher hätte ich es für eine unendliche Ehre gehalten, dass so ein Mann wie Karl Lagerfeld mich fotografieren wollte. In Szene setzen! Mich! Für ein angesagtes Jugendmagazin! Und für den »stern«, die »Gala« und die »Frohe Mutter«! Weil ich zu den wichtigsten Frauen Deutschlands gehörte! Ich wäre vor Stolz geplatzt. Und hätte es allen erzählt.
    Heute war es mir schlichtweg egal.
    Es gab viel Wichtigeres in meinem Leben! Es gab Emil! Wenn auch nur vorübergehend. Jede Minute mit ihm war so kostbar!
    Gedankenverloren saß ich auf dem Rücksitz und sah zum Fenster hinaus, aber eigentlich sah ich nur in mich hinein.
    Ich sah mich, wie ich vor drei Tagen, nach unserer ersten gemeinsamen Nacht, mit Paulinchen im Kinderwagen und Katinka an der Hand durch Ascona gegangen war, eher geschwebt, und das unermüdliche Plappern meines Töchterchens nicht an mein Innerstes drang. Ich sah mich, wie ich vor Schaufenstern stehenblieb, vor denen ich sonst im Leben nicht stehengeblieben wäre, die ich gar nicht wahrnahm, die es in meiner Welt überhaupt nicht gab. Schaufenster, in denen Herrenunterwäsche ausgestellt war. Knackige Unterhosen von Calvin Klein und von Hugo Boss und Otto Kern und Karl Lagerfeld und wie sie alle hießen. Ich hatte noch nie, niemals im Leben eine Männerunterhose in einem Herrenausstattergeschäftsschaufenster betrachtet, ich wäre im

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