Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
ansteckte. »Aber dann ruft mich wenigstens mal jemand an. Das ist ja auch irgendwie angenehm.«
Nachts, als ich mich schlaflos wälzte, überlegte ich, ob ich gerne Danielas Sorgen haben würde. Nein, entschied ich.
Dann doch lieber meine Sorgen. Das war doch irgendwie angenehmer.
Seit er gesprungen war, war Emil verändert. Er taute ein bisschen auf. Ab und zu lächelte er mich scheu an. Ich betrachtete ihn manchmal, wenn ich glaubte, er würde es nicht bemerken. Er saß mit völlig abwesendem Blick auf dem Sandkastenrand. Physisch war er anwesend, aber sein Geist war ganz weit weg. Er spielte gedankenverloren mit den Kleinen. Ganz ruhig, ganz unspektakulär. Woran dachte er nur? Manchmal hatte ich das Gefühl, er führte leise Selbstgespräche. Oder sang er vor sich hin? Er wirkte zeitweise wie ein verträumter Junge, aber ich hatte das Gefühl, dass er in Wirklichkeit hellwach war. Sobald ich ihn um etwas bat, sprang er auf und erledigte es. Abends, wenn die Kinder im Bett waren, schlug ich ihm vor, doch mal unter junge Leute zu gehen, ins Kino oder auf ein Kölsch in die Stadt. Er ging auch brav, war aber stets nach zwei Stunden wieder da, verabschiedete sich höflich und ging in sein Zimmer.
Tagsüber verhielt er sich mustergültig. Er war immer präsent, aber nie laut. Er hatte eine sehr liebe, stille Art, sich mit den Kindern zu beschäftigen. Oft saß er mit Katinka auf der Erde und spielte mit ihr. Er sang auch ganz leise südafrikanische Kinderlieder mit ihr. Willie Willie Waaley. Tjoef, tjoef, fall he aff, Willie Willie Waaley.
Bei »tjoef, tjoef« ließ er sich immer fallen, und Katinkalein schmiss sich begeistert auf ihn drauf. Sie konnte nie genug von diesem Kinderlied bekommen.
Mit den Großen konnte Emil toben und rangeln, dass ich um meine Wohnzimmermöbel fürchtete. Die Gläser klirrten im Schrank, wenn die wiehernden Kerls in Socken über Tische und Bänke sprangen, sich unter dem Tisch in ein Knäuel verwurstelten, um dann keuchend und schwitzend wieder darunter hervorzuschießen. Frau Prieß, die häufig lachend vorbeikam, um zu schauen, was für einen fröhlichen Kinderlärm es bei uns gab, war sich mit mir einig: Endlich war Leben in der Bude. Und was für ein Leben. Nach kurzer Zeit war mein CD-Player, aus dem sonst immer nur Rossini, Verdi und Strauss tönten, in den Player einer Teeny-Disco verwandelt. Jeden Abend plärrten die Backstreet Boys und die Wise Guys ihre Songs, und wir tanzten auf Socken durch die Räume. Emil mit Katinka auf dem Arm, ich mit Paulinchen.
Tagsüber machte Emil sich an allen Ecken und Enden nützlich. Er spurtete mal eben mit dem Altpapier zum Container, er brachte die Kinderfahrräder in Ordnung und bastelte eine Anhängerkarre, er stapelte die Getränkekisten im Keller, er wuchtete die Einkäufe ins Haus, dass es eine Freude war. Nachdem ich ihm unseren Kleinbus anvertraut hatte, holte er auch die Jungen von der Schule ab und fuhr noch deren Freunde nach Hause. Er entlastete mich unglaublich. Selbst mit Paulinchen konnte er gut umgehen. Wenn man ihm das kleine Säugetier in den Arm legte, trug er es behutsam nach oben, badete es, wickelte es, spielte und schmuste, saß auf der Erde und wiegte das Baby auf den Knien. Er tat dies alles nie laut, nie aufdringlich, nie nach dem Motto »Seht her, was ich für ein tolles Hausmännchen bin«. Nach ganz kurzer Zeit war ich sicher, mit ihm genau die richtige Wahl getroffen zu haben.
Vormittags musste ich ihn regelrecht drängen, in die Sprachschule zu gehen. Er hielt sich viel lieber bei uns zu Hause auf und suchte auch nicht den Kontakt zu anderen jungen Leuten, obwohl ich ihn abends immer wieder vor die Tür jagte: »Geh raus, Emil, Köln ist eine tolle Stadt, es wimmelt von Kinos und Theatern, du triffst im Studentenviertel junge Leute, es gibt Kneipen und Discos!« Doch Emil ging nur ein paar Mal aus und blieb dann daheim.
Die Sendung rückte näher. Nur noch wenige Tage.
Gerade als ich mich mal wieder schweißgebadet zum Klange der Beba-Kassette für junge Mütter auf der Decke wälzte, klingelte das Telefon. Senta, mit Baby im Arm und Kochlöffeln in der Hand, ging ran.
»Ja, Moment, Frau Malzahn, sie ist da. Sie ist gerade in einer geschäftlichen Besprechung.«
»Hahaha«, murmelte ich, während ich mich schwer atmend von meiner Wolldecke erhob.
»Na, wie geht’s, Schätzchen?«, fragte Oda-Gesine.
»Großartig«, beteuerte ich.
»Der Countdown läuft.«
»Ja«, keuchte ich. »Ich
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