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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Wasserballett und Golf ausgelastet seien. Diese Schule biete hoffentlich einige spielerische Alternativen. Ich blickte fassungslos in die Runde. Mein Sohn Karl wollte fernsehen und Computer spielen. Sonst gar nichts. Und auch ich wünschte, er brächte manchmal eine Zwei. Fürwahr.
    Man diskutierte inzwischen darüber, ob es sinnvoll sei, den Nachwuchs im Schulchor und/oder Orchester anzumelden. Ein blauweißgestreiftes Nickitüchlein mit Knoten über dem Blusenknopf sagte, ihr Sandro habe bereits mit acht Jahren bei »Jugend musiziert« einen Förderpreis im Fach Trompete bekommen. Er sei selbst bei Androhung von Strafe nicht davon abzubringen, noch abends um neun im Bett Trompete zu üben. Ob denn nun der Chor oder das Orchester ihm genug Alternativen zum leidigen Trompeteblasen biete? Ich sinnierte bar jeden Selbstbewusstseins darüber, dass mein maulfauler Karl höchstens den Mund öffnete, um Lakritz-Schnecken zu verzehren, und dass er wahrscheinlich weder durch das Chorsingen noch durch heftiges Trompeten und/oder Geigen im Orchester davon abzubringen sein würde. Die Lehrerin regte an, dass jener Trompeten-Sandro beides in Anspruch nehmen solle, wenn er doch schon so vor Tatendrang platze.
    Ich hob schüchtern meinen Arm und fragte, was es denn für Alternativen gebe für Kinder, die weder Chopin noch Beethoven spielen mochten und am liebsten schweigend vor dem Computer säßen. Für solche Kinder, sagte die robuste Lehrerin, gebe es an der Schule einen improvisationsorientierten Orffschen Rhythmikkreis, der sei auch für weniger leistungsstarke Jungen und Mädchen als musikalischer Anreiz geeignet. Falls mein Sohn sich als unmusikalisch erweise, könne er seine kreativen Fähigkeiten auch in der Theatergruppe und/oder im kreativen Mal-, Bastel- und Töpferkreis unter Beweis stellen.
    Doch auch hier sah ich keine Chance, meinen phlegmatischen Karl zu begeistern. Weder mochte er auf Orffschen Instrumenten herumhauen, noch mochte er in der Theatergruppe mitwirken. Ein einziges Mal hatte er in der Grundschule bei einem heiteren musikalischen Reigen mitgewirkt, und zwar als »Haus«. Besser: als ein Teil des Dachgiebels. Mehrere Minuten lang hatte er mit erhobenen Armen auf der Bühne stehen müssen, wenn auch sehr im Hintergrund, und während seine Mitschüler tanzten, sangen, hopsten, lachten und voll kreativ ihr schauspielerisches, selbstdarstellerisches Talent vor applaudierenden Müttern und videofilmenden Vätern unter Beweis stellten, muffelte mein Karl sauer vor sich hin, weil das Ausstrecken der Arme einfach eine Zumutung war. Und er dabei schlecht an seine Lakritzschnecke kam.
    Auch das Basteln, Töpfern und Backen lag ihm fern. Bilder malen fand er überflüssig und bescheuert, besonders wenn man sich die Mühe machen musste, zwischendurch einen Pinsel auszuwaschen oder gar einen Buntstift anzuspitzen. Als allerhöchste Schikane hatte er empfunden, aus vielen bunten Schnipseln, die man anlecken sollte, einen Osterhasen kleben zu müssen. Auch mochte das liebe Kind nicht mit einem Baukasten spielen, aus vielen bunten Legosteinchen einen Hubschrauber basteln, ein Puzzle aus tausend Teilchen in »Schloss Schwanstein« verwandeln oder mit dem Chemielaboratorium experimentieren. Er verspürte nicht den Drang, durch ein Mikroskop auf einen Fliegenschiss zu blicken, und er mochte kein einziges Wort für die Schülerzeitung schreiben. Voll bescheuert und überflüssig. Das Einzige, was ihn aus seiner Lethargie reißen konnte, war ein Computer, neben dem eine Tüte mit Lakritzschnecken lag.
    Seufzend blickte ich mich zwischen den anderen, hochmotivierten Hochbegabtenmüttern um. Bestimmt lag es an mir, dass mein Junge seelisch so verkümmert war. Ich bot ihm einfach nicht genug. Gewiss schlummerten tausend Talente in ihm. Und ich war zu dämlich, sie hervorzuzaubern. Außerdem trug ich niemals ein Halstuch.
    Noch zwei Wochen bis zur ersten »Wört-Flört«-Aufzeichnung. Ich turnte in jeder freien Minute auf meiner roten Wolldecke im Wohnzimmer. Zum Glück gab es die schon erwähnte Hörkassette von der Firma Beba, die man bereits am Wochenbett als Werbegeschenk im Jutebeutel an die Bettkante gehängt bekommt. Die war extra für die Problemzonen von jungen Müttern entworfen worden, und ich wusste von meinen anderen drei postnatalen Rekonvaleszenzzeiten: Beba. Die tun was. Wenn man sechs Monate täglich zwei Stunden danach turnt, sieht man aus wie neu.
    Ich schickte also Emil mit den Kleinen in den Park und jagte

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