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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Gel. Er trug immer Jeans, ein Sweatshirt oder T-Shirt und Turnschuhe. Kein modisches Getue. Was mir an seinem Äußeren am meisten gefiel, waren seine kinnlangen Haare, auf denen die unvermeidliche Schirmkappe saß.
    Als wir in München landeten, sprang Emil behende nach dem Kinderwagen, klappte ihn auf, bettete das schlafende Paulinchen hinein, reichte mir dann noch meinen Rucksack und vergaß auch meine Jacke nicht. Ich hätte alles vergessen, bis auf mein Kind natürlich. Ich war entsetzlich aufgeregt. Morgen würde ich zum ersten Mal »Wört-Flört« moderieren! Ich wartete nervös am Kofferband. Dann ging ich bangen Herzens durch die Schwingtür.
    »Hallo, Karla!« Ein bildschönes junges Girl kam aus der wartenden Menge herbei gerannt und riss mir den Koffer aus der Hand.
    »Ich bin die Melanie, die Praktikantin!« Für eine Praktikantin war sie aber crazy und taff, die Melanie!
    Wir begrüßten Melanie, die eine dieser modisch kurz über dem Schambein schließenden Hosen und ein nabelfreies Top trug. Der Nabel gepierct, natürlich. Ihre Haare waren sehr blond und sehr toupiert.
    Sie warf einen Blick in den Kinderwagen und sagte: »Süß.« Dann warf sie einen Blick auf Emil und sagte noch mal: »Süß.«
    Ich schaute heimlich auf Emil. Ob er Melanie auch »süß« fand? Aber Emil ließ sich nichts anmerken. Wir bahnten uns einen Weg durch die Menge.
    »Ich war heute Morgen extra noch bei Toys und habe einen Babysitz gekauft«, sagte Melanie, während sie den Schlag des Wagens auf riss.
    Emil schnallte das schlafende Paulinchen sehr gewissenhaft an und zog die Gurte passend.
    Dann setzte er sich neben Paulinchen und mich nach hinten, und Melanie setzte sich nach vorn zum Fahrer. Das Autoradio ging an, sobald der den Schlüssel drehte. Tosende Techno-Musik dröhnte uns entgegen.
    »Nicht ganz so laut«, bat ich. »Das Baby schläft.«
    Der Fahrer bugsierte den eleganten schwarzen Mercedes sehr flott aus der Parklücke und lenkte schnittig auf die Autobahn. Melanie ergriff ihr Handy, wählte ein Kürzel und sprach: »Wir sind jetzt unterwegs.« Ich betrachtete ihre schmalen braungebrannten Handgelenke, an denen feine silberne Armbänder funkelten, ihre langen, schönen Finger und ihre schlanken Beine in den engen Hosen. Warum moderierte die nicht »Wört-Flört«? Die war dafür viel geeigneter als ich. Sicher dachte sie genauso.
    »Hattet ihr einen guten Flug?«, wollte Melanie wissen.
    Was man so fragt. Ich finde solche Fragen überflüssig. Sieht man doch, dass wir einen guten Flug hatten. Oder interessierte Melanie sich wirklich für unseren Flug? Sollte ich detailliert Auskunft geben? Nein, der Kapitän hat wie immer durch unerwünschte Angaben darüber, wie viel tausend Fuß man gerade über Schweinfurt sei, mein Nickerchen unterbrochen und uns laut knarrend durch den Lautsprecher angeschrien, dass es draußen minus vierzig Grad kalt sei, obwohl niemand Anstalten machte auszusteigen, und der Glatzkopf vor uns hat ungefragt seine Rücklehne nach hinten schnellen lassen. Aber sonst war es ein guter Flug.
    Wir fuhren lange über die öde graue Autobahn. Jetzt fühlte ich mich so, wie Emil sich gefühlt haben musste. Neuland. Bange Erwartung. Stoppelfelder und Äcker. Industriegebiet. Fabriken. Schornsteine. Ich hatte keine Lust auf Small Talk mit Melanie, und so schwiegen wir. Emil schwieg sowieso immer.
    Nach einer halben Stunde bogen wir in ein ödes graues Neubaugebiet ab. Container standen herum, an Bauzäunen hingen zerfledderte Plakate, Vorstadtkinder spielten in Pfützen. Ich sollte auch lieber zu Hause mit meinen eigenen Vorstadtkindern spielen, ging es mir durch den Kopf.
    »Wir sind gleich da«, strahlte Melanie. Natürlich hatte sie bildschöne, makellose schneeweiße Zähne. Die wollte doch ganz klar Fernsehmoderatorin werden! Deshalb jobbte die hier als Praktikantin! Bestimmt lauerte sie nur darauf, dass ich scheitern würde, damit sie die Show bekäme!
    Böse Gedanken straft der liebe Gott sofort. Beim Einbiegen in das Fernsehgelände traf mich ein mittlerer Schock: An einer Hochhauswand prangte – in fünfzigfacher Vergrößerung – mein Bildnis! Es war extrem scheußlich, verzerrt, faltig und bucklig. Da hatte ein Hobbymaler versucht, von der Autogrammkarte mein Gesicht abzumalen. Er hatte es mit Falten und Runzeln versehen, dass es aussah wie eine schreckliche Karikatur oder wie ein Gespenst auf der Geisterbahn, zur Abschreckung der Leute. »Unsere ›Wört-Flört‹-Kupplerin« stand in

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