Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Seidentuch an Bluse – das waren die elitären, eleganten Mütter der Marke »MEIN Kind geht aufs Gymnasium«. Oder als Troddelvariante im naturverbundenen Jäger- und Förster-Look. Diese Mütter trugen Hirschhornknöpfe oder hatten wenigstens ländlichsittliche Grobstrickwesten an. Und diese Mütter pressten noch Morgen für Morgen ihren Kindern den Orangensaft aus und legten ihnen eine halbe rohe Paprika in die Tupper-Dose.
Die robuste Lehrerin mit dem treudeutschen Doppelnamen Langewellpott-Biermann im derb karierten Lodenkostüm mit wadenlangem Faltenrock hatte ein DACKELHALS-TUCH um die Schultern geschlungen! Sie sah mir, wie ich heute Morgen bei »Margarete Jacoby« in der grausam beleuchteten Einzelhaftzelle gestanden hatte, zum Verwechseln ähnlich! Es waren blaugraue Dackel auf silbernem Untergrund. Ich versuchte die Dackel zu zählen. Mindestens zwei Dutzend blaugraue Dackel verweilten da auf der Schulter der Lehrerin und glotzten den Betrachter mit toten Augen an.
Kein Wort von dem, was die Lehrerin sagte, drang in mein Hirn vor. War ich denn wirklich schon in dem Alter, in dem man als Dame ein seidenes Halstuch mit sich führt? Manche der anwesenden Damen hatten ihr unersetzliches Halstuch sogar um ihre Handtasche geknotet. Wozu? Ist das schick?! Trägt man das jetzt so? Peppt man so eine Handtasche voll crazy auf, wenn man ein Halstuch um den Henkel knotet?
Wofür ist so ein Halstuch eigentlich gut? fragte ich mich. Hineinschneuzen darf man nicht, damit winken tut man selten, Nüsse und Beeren darin sammeln noch viel seltener. Ist es die bittere Wahrheit, dass man seine Halsfalten damit verbergen will? Warum schlingt man es aber dann um die Handtasche? Ist das Halstuch an sich ein Symbol der Weiblichkeit, überlegte ich, während die Mütter darüber diskutierten, ob sie ihr Kind zuerst Englisch oder zuerst Latein lernen lassen sollten. Vielleicht ist das Halstuch für die Dame das, was für den Herrn das Handy oder der Terminplaner ist? Seht her, ich bin eine Dame! Ohne Halstuch verlasse ich nie das Haus! Mein Sohn lernt Latein und/oder Englisch, also trage ich ein Halstuch. Nur gewöhnliche Weiber, deren Kinder keine Fremdsprache sprechen, kein Instrument beherrschen und kein Gymnasium besuchen, gehen ohne Halstuch aus dem Haus. Akademikergattinnen gehen sogar mit Halstuch ins Bett. Wahrscheinlich schlingen sie es um ihre Lockenwickler. Oder erwürgen nächtens damit ihren Gatten. Ach, ach, ach. Karla Stein. Jetzt PASS doch mal auf. Du bist doch nicht zum Vergnügen hier.
»Nach welchen Kriterien soll ich den Kevin denn entscheiden lassen, ob er Englisch oder Latein lernen will?«, fragte eine Dame, deren Halstuch mit Beeren und Blättern an Dornen »Otto Kern« hieß.
»Das kommt drauf an, ob Ihr Kevin eher ein ruhiger Typ ist, der gern kniffelige Aufgaben löst und bastelt und tüftelt, oder ob er der extrovertierte, kreative und kommunikative Typ ist, der sich gern artikuliert«, sagte die Lehrerin mit den Dackeln auf der Schulter. »Der Tüftler sollte Latein lernen, der Extrovertierte Englisch.«
Dann sollte mein Sohn lieber gar nichts lernen, dachte ich betrübt. Weder liebt er das Tüfteln, noch redet er freiwillig. In keiner Sprache übrigens. Schade eigentlich, dass es kein Wahlfach gibt, in dem man schweigend Lakritzschnecken verspeist.
Der Maximilian einer Dame mit Rosenensemble »Laura Ashley« um den Hals bereitete seiner Mutter Sorgen, weil er Tag und Nacht Opern hörte und immer die Sopranpartie von »Tosca« und »La Bohème« sang. Sie gehe ständig mit ihm ins Opernhaus, man habe schon das Abonnement der Großeltern übernommen, aber Maximilian, der Opernfreund, könne gar nicht genug bekommen. Ob denn diese Schule es erlaube, dass besonders begabte Opernfreunde in den ersten zwei Stunden fehlen dürften, damit die übernächtigten Kinder ausschlafen könnten?
Die Lehrerin mit den Dackeln sagte erfreut, dass es natürlich auch einen Opernkurs an der Schule gebe und dass die Kinder selbstverständlich im Kinderchor der Oper mitsingen dürften, vorausgesetzt, sie stünden in allen Fächern mindestens eins oder zwei. Maximilians leidgeprüfte Mutter stöhnte, das sei kein Problem, Maximilian schreibe nur Einsen. Wirklich. Sie hoffe seit Jahren, dass er einmal eine Zwei bringen würde, EINMAL. Die anderen Mütter-mit-Halstuch nickten betroffen. Auch ihre Annabells, Viktorias und Jessicas seien so ehrgeizig und leistungsorientiert, dass sie kaum mit Ballett, Reiten, Kinderchor,
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