Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
die bewegungsfaulen Großen mit dem Fußball vor die Tür. Als ich sicher war, allein zu Hause zu sein, riss ich mir den Schlabberpullover und die Gummizughose vom Leib, öffnete die Terrassentür und das Wohnzimmerfenster und drückte beim Kassettenrecorder auf »Start«.
»Wir beginnen mit einer Erwärmungsübung zur Verbesserung der Rückenhaltung«, sagte die nette Frauenstimme, die ich inzwischen besser kannte als meine Eigene. »Stellen Sie sich in die Grätsche, und spannen Sie die Bauch- und Gesäßmuskeln fest an.« Das tat ich, und wie ich das tat! »Und: Arme he-ben Rüc-ken strec-ken, O-ber-kör-per sen-ken, Hände zum Boden, wieder aufrichten …« Ich stand da mit dem Gesicht zur Wolldecke und bemühte mich, ihren Anregungen korrekt nachzukommen und dabei das Recken und Atmen nicht zu vergessen. Die Dame war unglaublich nett und liebenswürdig. »Zweite Übung«, sagte sie, während das Klavier im Hintergrund vor sich hinplätscherte. »Nun grätschen wir die Beine noch etwas weiter und heben zuerst das rechte Bein und den linken Arm ab.« Wieder begann das Klavier im Takt zu spielen, während sie durchaus freundlich dazu rezitierte: »Und: Rechtes Bein he-ben, Fuß ab-stel-len, nach rechts Rumpf krei-sen, über links aufrichten, abheben, halten, Fuß ab-set-zen, Oberkörper nach rechts über links auf-richten …« Ich tat, wie mir geheißen. Diese Übungen waren mir schon in Fleisch und Blut übergegangen. Längst hatte ich keinen Muskelkater mehr. Ich versuchte, alles zu tun, alles, was sie mir sagte, damit ich in zwei Wochen eine trendy-girliemäßige und mega-hippe Moderatorin sein würde. Keiner meiner fünf bis sieben Millionen Zuschauer würde wissen, wie grauenhaft ich mich auf der Wolldecke abgestrampelt hatte. »Gehen Sie in die Hocke, und strecken Sie beide Hände weit nach vorn. Und: Knie öffnen, schließen, öffnen, schließen, beide Knie, rechts, links, rechts, links …« Ich kam mir vor wie ein Känguru. Das sollte man mal mit Böhme machen, dachte ich, oder mit Biolek. Oder mit Manfred Krug. Diese Herren zu so einem erniedrigenden Tun anstiften, nur damit sie in drei Wochen die nabelfreien Hosen zukriegen, die sie bis dahin mit goldenen Dackeln verhängen. Gut, dass mich niemand so sah.
Gerade als ich mit dem Gesicht nach unten auf der dunkelroten Wolldecke kniete und meine Arme und Beine in die Luft zu schleudern versuchte, stand plötzlich Emil über mir.
Er musste ungehindert über die Terrassentür hereingekommen sein. Erschrocken richtete ich mich auf.
»Was ist? Ist was mit Paulinchen?«
»Nein. Ssläft. Katinka auch.«
»Warum kommst du rein?«
»Sspülmassine ausräumen«, sagte Emil. Erst jetzt sah ich, dass er einige Gläser in der Hand hatte. Er stieg elegant über mich und klapperte mit den Gläsern im Wohnzimmerschrank herum.
»Emil! Das muss doch nicht jetzt sein!«, keuchte ich und wollte vor Scham vergehen.
Er schien zu merken, wie peinlich mir das war und wie sehr ich mich vor ihm schämte.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Emil. »Du bist sson wieder ganz toll sslank.« Er schenkte mir ein zauberhaftes Grinsen aus spitzbübischem Jungengesicht. Dann räumte er die Gläser ein und ging wieder weg.
Ich wusste, dass er gelogen hatte.
Aber ich mochte den Bengel, fürwahr.
Und dann saßen wir im Flieger nach München, Emil, Paulinchen und ich.
Emil erwies sich als stiller, umsichtiger und stets präsenter Assistent. Beim Einchecken hielt er Paulinchen sehr fachmännisch, sehr selbstverständlich, sehr zärtlich. Er war nie mit den Gedanken woanders, wenn er gebraucht wurde. Nur wenn er sich unbeobachtet fühlte. Dann träumte er vor sich hin. Aber jetzt war er hellwach. Er dachte nicht nur mit, er dachte sogar voraus. Stets war er einen Handschlag schneller als ich, er nahm mir Dinge aus der Hand, hob die Koffer aufs Band, ließ mir bei der Taschenkontrolle den Vortritt, immer höflich, immer aufmerksam.
Bevor wir in den Flieger stiegen, klappte Emil stillschweigend und geschickt den Kinderwagen zusammen und übergab ihn einem Gepäckträger. Im Flugzeug stillte ich Paulinchen. Emil streute mir ganz selbstverständlich Salz und Pfeffer in den Tomatensaft, weil ich keine Hand frei hatte, und als ich die Seite wechselte, half er mir beim Runterziehen des Pullovers. Ich sah ihn von der Seite an: Was für ein Junge!
Er trug übrigens keine nabelfreie Hose. Und er hatte kein Tattoo. Sein Bauchnabel war meines Wissens nicht gepierct, und in den Haaren klebte kein
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