Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
stolzen Buchstaben auf der Hauswand. »Ab 8. September in DER SENDER! Schalten Sie ein!«
Ich hätte sterben mögen. Sah ich so aus? Wer hatte das gemalt? Wie sehr musste er mich hassen? Was hatte ich ihm getan? Wie viel hatte mein ärgster Feind ihm dafür bezahlt?
»Sieht doch süß aus«, behauptete Oda-Gesine, bei der ich wenige Augenblicke später im Zimmer saß. »Richtig girliemäßig trendy!« Sie hatte wieder etwas zwischen den Zähnen. Außerdem zierte ein blutig gekratzter Pickel ihre Nase. Meine Güte, dachte ich, dass eine einzige Frau so hässlich sein kann. Und das in dem Job! Kaum zu glauben! Ihre Haare hingen in fettigen Strähnen vom Kopf herab. Die dicken Füße steckten in flachen Tretern, der graue Faltenrock hatte einen Fleck.
»Wie geht es zu Hause?«, fragte sie.
»Danke, alles bestens.«
»Und die Kinderschar?«
»Danke, gut.«
»Ist das Baby wohlauf?«
»Ja. Wirklich. Alles prima.«
»Und der … Boy?«
»Steht hier. Der mit dem Kinderwagen.«
»Ach ja. Hallo. Spricht der deutsch?«
»Ja. Er heißt Emil.«
»Also das Bild auf der Hauswand: Das bist eben du. So schaust du aus, und so wollen wir dich. Wenn dir das peinlich ist, zahl ich dir gern ein Selbstfindungsseminar. Oder versuchst du’s erst mal so?«
»Ja. Klar. Natürlich.« Ich hüstelte verlegen.
»Ganz natürlich und frisch und nicht geschönt«, sagte Oda-Gesine. »Wir finden’s alle super. Nicht wahr, Kinder?«
Die »Kinder«, allesamt bildschöne, schlanke junge Menschen mit gegelten Haaren und nabelfreien Hosen, nickten froh. Alle Franks und Saschas und Maiks und Melanies, und wie sie alle hießen, nickten und lächelten und waren voll gut drauf und waren so hip und so taff, dass es mir die Kniekehlen zusammenzog.
Keiner hatte ein Dackelhalstuch um. Keiner. Noch nicht mal Oda-Gesine.
Unser aller Chefin erhob sich mühsam aus ihrem Chefsessel. Sie hatte eine Laufmasche im Strumpf.
»Also, Kinder, jetzt zeigen wir der Karla mal das Studio, und dann zeigen wir ihr die Garderobe, und dann geht sie für zwei, drei Stündchen in die Maske, und der Sascha probiert das Make-up aus, und inzwischen kann die Tanja mal den Kameracheck machen, und die Gewandmeister halten die Outfits vor die Kamera, und dann brauchen wir ein paar Strohmänner für die Generalprobe. Vorher bringt der Rolf mal die zwanzig Anmoderationen, die ihr ausgesucht habt, und der Maik negert die mit dem dicken Filzer, und in der Maske könnt ihr dann schauen, ob die Karla das lesen kann. Und die Silvia bringt mal das Obst und – was brauchst du noch, Karla?«
»Nichts, danke.«
»Fläschchen und Schnuller und so was?«
»Danke, wir haben alles dabei.«
»Können wir dich mit irgendwas glücklich machen?«
Gott, wie waren sie alle um mich bemüht und besorgt! Ob ich es ihnen jemals danken konnte?
»Mit ’ner Wolldecke und ’nem Kassettenrecorder.« Ich hatte mir vorgenommen, während der Pausen in meiner Garderobe fleißig Gymnastik zu machen. Hoffentlich konnte man die abschließen, die Garderobe. Nicht, dass so ein Nabelfreier reinplatzte und sich über meinen Anblick kaputtlachte.
»Genau. Hattest du ja gesagt.« Oda-Gesine patschte in die Hände. »Alles klar, Kinder?«
Alle Kinder nickten und lächelten und wussten, was sie zu tun hatten, und sprangen behende davon. Emil wendete den Kinderwagen und blieb abwartend an der Tür stehen.
Nur ich wusste nichts. Ich wusste, dass dieses Bild auf der Hauswand scheußlich war und dass ich Angst vor Sascha hatte und dass ich diese Kostüme nicht anziehen wollte und dass ich keine Strohmänner interviewen mochte und dass ich auch keine Lust auf Neger hatte, die ich ablesen sollte. Irgendwie erschien mir das alles hier wie eine künstliche Welt aus rosa Plastik. Ein großer Spielzeugladen mit vielen Barbie-Puppen, die alle gleich aussahen. Aber es gab kein Zurück.
Man führte mich im Sendegebäude herum, es klappten Eisentüren auf und zu, es leuchteten »Ruhe-Aufnahme«-Schilder, in der Regie saßen viele Menschen, die mir zunickten und an Reglern herumregelten, es drückten mir unzählige Leute die Hand und teilten mir mit, wie sie hießen, und ich dachte an diese Gedächtnistrainer, die einem beibringen, mit welchen Eselsbrücken man sich welche Namen merkt, und ich gab mir unendlich viel Mühe, all die Maiks und Saschas und Tanjas und Sarahs und Dschills und Dschennifers und Luzifers nicht miteinander zu verwechseln und mir von Anfang an und für immer ihre Namen zu merken. Sie sahen halt
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