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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Herrn Bönninghausen natürlich daran gelegen sein, dass jemand Junges, Schlankes, Knackiges diese Sendung »muderierte«. Jemand mit einem »It’s cool, man«-Akzent. Jemand, der nicht so geistlos und langweilig war wie ich. Ich musste handeln. Bevor es zu spät war.
    »Oda-Gesine, kann ich dich mal sprechen?«
    »Natürlich, komm rein. Alle mal raus hier, ich will mit unserer Moderatorin allein sein!« Oda-Gesine scheuchte eine ganze Anzahl von Mitarbeitern aus ihrem Büro, die alle mit Abheften und Fotokopieren und Emailen und Telefonieren und Brainstormen beschäftigt waren. Diese griffen hastig nach ihren Handys und nach ihren Zigaretten und suchten das Weite.
    »Setz dich!« Oda-Gesine wies mir freundlich einen Platz auf ihrem Sofa zu. Sie selbst ließ sich zurück in ihren Ledersessel fallen und griff nach einem »Wört-Flört-Tört«.
    »Bitte. Bedien dich.«
    »Danke, nein. Ich versuche abzunehmen.«
    »Sehr löblich.« Oda-Gesine biss herzhaft in das klebrige Tört. »Wir wollen eine schlanke und attraktive Moderatorin. Aber du bist doch auf dem besten Wege dazu!«
    Freundlich lächelte sie mich an. Sie hatte wie immer etwas Grünes zwischen den Zähnen. Ihre Haare hingen wirr und grau über ihre Brille. Es war so grotesk! Die Frau wog mindestens hundertzwanzig Kilo, trug stets dasselbe formlose schwarze Zelt, schlurfte in ausgelatschten Tretern durch die Welt und munterte mich herzlich zum Schlank- und Attraktivwerden auf! Ob sie jemals in den Spiegel schaute? Warum sagte ihr denn kein Mensch, dass der Knopf über ihrem riesigen Busen offenstand? Durch das klaffende Loch konnte man einen fleischfarbenen BH betrachten. Ich beschloss, das lieber nicht zu tun.
    »Ich würde gern einige Punkte mit dir besprechen«, hob ich mutig an. Zu Oda-Gesine hatte ich Vertrauen. Sie war ein ehrlicher, direkter und geradliniger Mensch.
    »Nur zu«, forderte Oda-Gesine mich auf, während sie einen zweiten Nougatriegel entkleidete.
    »Die Zuschauerpost stimmt mich nicht gerade heiter«, begann ich das Gespräch.
    »Ja, hat denn dieser dämliche Lutz …« Oda ließ ihre fette Pranke auf die Tischplatte sausen.
    »Lass ihn. Ich hab ihn gebeten, mir das Zeug zu geben. Ich muss doch wissen, mit was für einem Publikum ich es zu tun habe.«
    »Dem Bengel werd ich die Ohren langziehen! Ich habe Ausdrücklich allen meinen Mitarbeitern verboten, dich mit bad mails zu blocken!«
    »Das heißt, alle wissen von den bad mails, nur ich nicht?«
    »Klar!«, schnaufte Oda-Gesine. »Aber das ist alles im grünen Bereich. Jeder Moderator hat am Anfang Gegenwind. Jeder. Hatte ich auch. Obwohl die Zeiten damals wahrlich besser waren. Kein Privatfernsehen und nur zwei Sender. Ich hatte Marktanteile von vierundfünfzig Prozent, als ich ›Wört-Flört‹ moderierte.«
    »DU?« Mir blieb der Mund offenstehen, »DU hast auch so böse Briefe bekommen?«
    »Klar«, sagte Oda-Gesine stolz. »Allerdings kriegte ich die erst später. Aber ich kriegte sie, obwohl ich sechsundfünfzig Kilo wog und der erklärte Liebling der Nation war.«
    »Oh«, entfuhr es mir. »Das hätte ich gar nicht gedacht.« Ich biss mir auf die Lippen. Aber nun war es mir rausgerutscht. Verdammt.
    »Ich hatte die schönsten Beine Deutschlands und war zwölfmal auf dem Titel der ›Bunten Illustrierten‹«, sagte Oda-Gesine und grinste breit. »Damals hieß die noch so. Zwanzig Jahre lang hab ich mich nur von Äpfeln und Salatblättern ernährt. Zwanzig Jahre lang hab ich jeden Tag Gymnastik gemacht, hab keinen Alkohol getrunken und mir alles versagt, was Spaß macht. Zwanzig Jahre lang. Ich war Kult. Die Sendung auch. Unser ganzer Sender war Kult. Als ich die ersten bösen Briefe bekam, war ich fünfunddreißig. An meinem neununddreißigsten Geburtstag habe ich das Handtuch geschmissen. Weißt du, was ich da gemacht habe?«
    »Nein. Keine Ahnung.«
    »Ein Riesensteak gegessen. Mit einer Kartoffel in Alufolie. Mit Kräuterquark. Ganz alleine. Im Bahnhofsrestaurant. Werd ich nie vergessen.«
    Ich schwieg.
    »Und die Briefe lauteten genau wie die, die du jetzt in den Händen hältst! Ich solle endlich Hausfrau und Mutter werden, wie sich das für eine Frau in meinem Alter gehöre, ich hätte auf dem Bildschirm nichts mehr verloren, und ich solle mich beeilen, um noch einen Mann abzukriegen.«
    »Ach nein.«
    »Und weißt du, was ich bei dem Steak beschlossen habe?«
    »Dass du keinen Mann abkriegen willst …?«
    »Das auch. Und ich hab mich selbständig gemacht. Ich hab die

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