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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Zuständigkeitsbereich dieser Sendung nicht einen einzigen kompetenten Fachmann, der bemerkt, wie unfähig diese Frau ist? Muss man sich als Zuschauer alles bieten lassen? Ich bin seit dreißig Jahren rechtschaffen verheiratet. Ich protestiere, dass ein öffentlicher und damit von MEINEN Steuern bezahlter Sender eine Moderatorin bezahlt, die Witze über alte Ehepaare macht! Armes Deutschland! Karla Stein hat weder den Takt noch die Intelligenz, diese Sendung mit Niveau durchzustehen! Mit dem Charme einer Langweilerin und mit dem Outfit aus dem Fundus von Mutter Beimer bringt sie die Zuschauer zum Gähnen. Gibt es denn keinen Sponsor, wie bei den Privatsendern, der diese Frau ein bisschen jugendlicher einkleidet? Sie soll nach Hause gehen und kochen! Außerdem hat sie keinen Akzent! Schrecklich!«
    Ich ließ die Briefe sinken. Sie hatten alle einen Tenor: Sie fanden mich langweilig, bieder, hausbacken. Zwei Drittel der Kritik richteten sich allein schon gegen das Outfit. Und damit hatten sie recht! So sehr Frank und Sascha sich auch bemühten: Ich sah aus wie meine eigene Großmutter! Was für ein seltsames Phänomen, dass eine Frau um die Neununddreißig, die normalerweise aussieht wie eine Frau um die Neununddreißig, nach zwei Stunden Maske und Kostüm – wohlgemerkt bei jungen, taffen, völlick trendy arbeitenden Gewandmeistern und Maskenbildnern – aussieht wie eine Frau um die Sechzig. Und sich auch so fühlt und so benimmt! Sie hatten auch damit recht, dass ich nicht spritzig war, nicht charmant, nicht witzig. Und unzweifelhaft hatten sie recht, wenn sie feststellten, dass ich keinen Akzent hatte. Ich konnte ihnen gar nicht böse sein.
    Mein erster Gedanke war: Keiner kann mich zwingen, weiter auf der falschen Party zu tanzen. Ich werde ja wohl nicht ins Gefängnis kommen! Ich geh jetzt zu Oda-Gesine und sage, es war ein Irrtum. Ich bin nicht die Richtige. Such dir einen Anderen, möglichst einen Mann, möglichst einen unter dreißig, möglichst einen mit Akzent.
    Aber dann wurde mir bewusst, dass ich einen Vertrag unterschrieben hatte. Für ein Jahr. Für sechsundfünfzig Sendungen. Und außerdem: Ich hatte noch nie, nie, niemals im Leben aufgegeben. Was würde Senta jetzt sagen? Wer nicht mit dem Hintern zu Hause bleiben will, der muss auf kalten Bergen frieren. Und das hatte ich ja schließlich gewollt.
    Ich öffnete das Fenster, breitete meine staubige Wolldecke auf dem Linoleumfußboden aus und stellte den Kassettenrecorder an. Und bei jedem Tritt in die Luft stellte ich mir vor, es sei der Hintern von Lotte Meier und Ingrid Kurz.
    Eine Stunde später fühlte ich mich ein bisschen besser. Immerhin pulsierten alle Muskeln, vibrierte die ganze Haut. Ich ließ mir die eiskalte Dusche über die Schultern prasseln und dachte dabei: Das bist du, Martina Kantor, und das bist du, Magda Hörmann, und das seid ihr, ihr bösartigen Schreiberlinge, prasselt ihr nur, ihr prallt an mir ab, ihr fließt in den Ausguss, ich bin abgehärtet, ich bin stark. Ich verstehe eure Kritik als Anregung, ich bin ein positiv denkender Mensch. Das kalte Wasser gurgelte in den Ausguss und verschwand. Die bösen, grauen, erniedrigenden Gedanken verschwanden jedoch nicht. Unmöglich, mich in einer halben Stunde auf die nächsten zwanzig Kandidaten zu konzentrieren! Mit ihnen zu lachen und herumzualbern und sie zu fragen, warum sie sich eine Schlange auf den Oberarm hatten tätowieren lassen, wie lange sie schon inline-skateten und was ihnen dabei schon Komisches passiert war. Mein Kopf war nicht frei! Er war verklebt von einem riesigen Spinnennetz voller klebriger Spinnenfäden, und in jedem dieser Fadenkreuze klebte eine fette Fliege, blauschillernd und gepanzert, und das waren die Briefe von Magda Hörmann und Martina Kantor und Lotte Meier und all den anderen, die mich hassten und mich auf die Müllkippe wünschten und die mir rieten, mich an den Kochtopf zu stellen.
    Plötzlich war mir jedoch klar, warum Herr Bönninghausen immer mit dem Kopf schüttelte. Die ganzen geballten Androhungen, dass seine »Wört-Flört«-Sendung nie wieder eingeschaltet werden würde, bedeuteten für ihn natürlich, dass alle diese erbosten Menschen auch seinen »Wört-Flört-Tört«-Riegel nicht mehr essen würden. Geschweige denn an seinem Schokoeislümmel lutschen. Weil sie automatisch das blasse, fade, langweilige Aussehen einer TV-Nervensäge ohne Charisma und ohne Akzent mit dem Verzehr dieser Produkte in Verbindung bringen würden! Deshalb musste

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