Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
noch nicht in der Lage war, die Worte, auf die es ankam, richtig zu betonen.
Der erste Bursche gefiel mir richtig gut. Es war das erste Mal, dass ich überhaupt einen von diesen Kandidaten als männliche Erscheinung wahrnahm. Mit dem würde ich gerne mal ein Glas Wein trinken gehen, dachte ich.
Aber der wird MICH GAR nicht wahrnehmen. Mich alte Dicke.
Ich versuchte meine Gedanken beisammenzuhalten. Aber es fiel mir schwer. Wie profan das doch alles war, wie albern, wie einfallslos! Nein, sie hatten recht, ich WAR nicht die richtige Moderatorin, egal, ob dick oder dünn, alt oder jung, Akzent oder nicht, Hausfrau oder altbacken oder was auch immer. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, es war mir egal, was die da redeten, ich fand es nicht lustig, ich schämte mich, ich wollte weg.
Die nächsten Drei kamen, diesmal waren es weibliche Kandidatinnen und ein Strohpicker, auch er konnte keine einzige Frage fehlerlos ablesen, die Kandidatinnen antworteten nichts oder jedenfalls nichts Witziges, sie schwiegen in die Kamera oder sagten etwas Belangloses, und ich muss zugeben, auch mir wäre absolut nichts eingefallen, was zwölf Millionen Zuschauer zu Lachstürmen hingerissen hätte. Die Autoren saßen in ihren Bänken und schrieben unaufhörlich. Voll die geistige Kreativität.
Ich las alles ab, was mir Maik vor die Nase hielt: Wo komm’se her, wo gehn’se hin, was machen Sie beruflich, was machen Sie in Ihrer Freizeit, hier kommt die Jenny aus Mönchengladbach, wie sieht Ihr Traummann aus?
Und langweilte mich dabei. Es kam mir lächerlich vor, dass hier sechzig bis achtzig Menschen in einem künstlich beleuchteten Studio saßen, Tag und Nacht schrieben und brainstormten und brieften und stylten und sich wichtig vorkamen und Rosen und Teddybären zurechtrückten und dabei das Gefühl hatten, sie würden die Welt neu erfinden. Während sich draußen das wirkliche Leben abspielte. Während draußen die Sonne schien oder der Herbststurm tobte. Während es Kriege gab und Kinder starben. Ich hatte kein Recht, als Moderatorin dieser Sendung so zu denken. Ich wusste, dass das nicht in Ordnung war. Beim Fußball hätte man mir die rote Karte gezeigt.
»Du, Sascha, könntest du mal was anderes mit der Frisur probieren?«
»Wieso?«
»Die Leute mögen’s nicht«, sagte ich vorsichtig, »und wenn ich ehrlich sein darf, sie haben recht. Nichts gegen dich, lieber Sascha, ich weiß, dass du dir Mühe gibst ohne Ende« (dieses »ohne Ende« war auch ein völlick trendy und völlick natürlick Wort – und in diesem Fall traf es wörtlich zu!), »und ich weiß auch um die Beschaffenheit meiner Problemzone Haupthaar, es IST schwierig, ich weiß, versuch doch einfach mal, diese etwas biedere Innenwelle im Nacken wegzulassen. Sieh mal, du drehst jeden Abend vor jeder Aufzeichnung bestimmt zwanzig Minuten lang meine lächerlichen Haarzipfel im Nacken nach innen. Mit unendlich viel Gel und Schaum und Haarspray und Geduld und Spucke. Während drinnen im Saal die Leute schon mit den Beinen baumeln vor Langeweile und dem Warm-upper nichts mehr einfällt, außer zu erzählen, wann sein Neffe Geburtstag hat. Und dann schüttelt Herr Bönninghausen wieder mit dem Kopf! Mit dem Resultat, dass ich WIRKLICH aussehe wie Mutter Beimer! Weißt du, Sascha, ich trage NIE, wirklich NIE meine Nackenhaare nach innen gedreht. Erstens wollen die gar nicht nach innen gedreht werden, die widerborstigen, und zweitens sieht es ECHT SCHEISSE aus!«
Was Oda-Gesine konnte, konnte ich auch. Einfach mal Klartext sprechen. Wie das befreite! Oder war ich jetzt zu weit gegangen?
»Ich kann doch nicht einfach hingehen und was ändern«, begehrte Sascha auf. »Immerhin haben wir Anschlüsse!« Er wischte sich die Hände an seinem nabelfreien schwarzen Leibchen ab und kramte in seinen Polaroidfotos herum, die man vor jeder Sendung zu meiner völligen Verzweiflung immer von mir machte. Jetzt wusste ich, warum! Wegen der Anschlüsse!! Immer wenn zwei Kandidaten von einer Reise wiederkamen, musste ich haargenau, also HAARgenau so aussehen wie bei der letzten Sendung. Denn diese Zwischenteile wurden in die vorige Sendung reingeschnitten. Ich musste alles haargenau wieder anziehen wie beim letzten Mal und HAARGENAU wieder so frisiert werden.
Das DAUERTE! Manchmal brauchten Sascha und Frank eineinhalb Stunden, bis sie die biedere Innenwelle und das Halstuch GENAUSO wieder hingezupft hatten wie beim letzten Mal. Und die Kette und die Ohrsteckerl und die
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