Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
die Schminke lief. Und die alles in ein grelles, unwirkliches Licht tauchten.
»Geht in die Landschaft hinein, bis ihr zu einer Quelle kommt«, frohlockte Annegret milde.
Ich lugte unter den Augenlidern hervor. Die Anderen schienen tatsächlich reichlich Quellen zu finden in ihrer Landschaft. Die dicke Zwillingsschwester leckte sich die Lippen. Ey! Nicht trinken! Das gildet nicht! Ich irrte durch meine Landschaft. Ich fand nur die Rückseite des Sofas, wo Silvia immer den »Wört-Flört«-Sekt abstellte.
»Probiert nun das Quellwasser: Wie schmeckt es? Rein, frisch, würzig, brackig, salzig?«
Die Anderen schienen sich mit ihrem Quellwasser köstlich zu amüsieren. Rudolf, der abgehärtete Altfaster im karierten Wanderhemd, lächelte wollüstig in sich hinein. Der schien sich einen Quellwasserschwips anzusaufen. Auch das sich liebende Ehepaar, das immer Händchen hielt beim Meditieren, soff sich selig. Die Zwillingsschwestern, wovon die Eine mager war und die Andere fett, kosteten auch mit spitzen Lippen am imaginären Brackwasser. Ich nippte am »Wört-Flört«-Tröpf. Er war wie immer lauwarm, süß und schmeckte nach Kopfschmerzen. Ich stellte das Glas wieder auf die imaginäre Sofarückseite und wischte Silvia fort, die sofort fragte, ob alles rrecht sei mit’m Sekt.
Annegret fuhr fort: »Aus der Quelle wird ein Bach, der zu einem Fluss und schließlich zu einem Strom anwächst …«
Ach je! Nein! Bitte nicht! Ich sah Herrn Bönninghausen in einem Strudel von lauwarmem, süßlichem »Wört-Flört«-Sekt ersaufen, seine Arme im schwarz-weiß kleinkarierten Jackett ruderten nach Hilfe, die Krawatte mit den gelben Giraffen drauf blieb an einem Stuhlbein hängen und erdrosselte den hilflosen Herrn Bönninghausen, seine Augen quollen hervor, schrecklich! Oda-Gesine im schwarzen Zelt kniete mit riesigem, ausladendem Hintern am Ufer des Stroms und versuchte ihn zu retten, aber da zog er sie schon hinein, und mit einem wilden Platsch versank auch Oda-Gesine im Meer von Sekt, das Letzte, was an der Oberfläche schwamm, war ihre schwarze Bluse, die immer über dem Busen auseinanderklaffte. Die übereifrige Silvia stand am Ufer und fragte, ob alles rrecht sei, und Frank und Sascha kamen mit ihren Kostümen herbeigeeilt und hielten sie ins Licht und gegen die Kamera, und Tanja sagte durch den Lautsprecher, dass jetzt mal Ruhe herrschen solle für eine Aufzeichnung. Und dann kamen die eitlen, aufgetakelten Kandidaten mit viel Gel im Haar und albernen Fummeln über ihren trendy Körpern und setzten sich auf ihre Schemel, aber alle Schemel stürzten zusammen und verschwanden im gurgelnden Schlund des ständig anschwellenden reißenden Stromes von »Wört-Flört«-Sekt. Die Klippen, an denen die Schemel krachend zerbarsten, waren Berge aus »Wört-Flört-Törts«. Gefährliche, hohe, rutschige Berge.
»Seht ihr Tiere, Pflanzen und Blumenbeete? Geht in dieser Landschaft spazieren und genießt das Gefühl, ganz bei euch zu sein.«
Ich ging ein bisschen durch das Studio, soweit das bei dem Strom von Sekt und fortschwimmenden Oda-Gesines und Bönninghausens und um sich schlagenden Kandidaten möglich war, und versuchte, ganz bei mir zu sein. Es fiel mir ziemlich schwer. Ich spürte, dass die innere Entschlackung noch weit von mir entfernt war.
Während Annegret die Übung mit einigen Stoßseufzern beendete und ein Tonband mit südnepalesischer Klagemusik anstellte, hoffte ich sehr, dass alle belastenden Gedanken an »Wört-Flört«, böse Briefe und gemeine Kritiken, alle Ballast-Stoffe rund um angeklebte Wimpern, trendy nabelfreie Hosenanzüge und nach innen gedrehte Fönwellen ebenso aus meinem Körper ausgeschwemmt werden würden wie die immer gleichbleibenden sinnlosen Fragen nach Beruf, Freizeit und Traummann. Ich war sicher, dass es noch einen ganz anderen Sinn im Leben gab und dass ich ihn innerhalb dieser drei Fastenwochen ergründen würde.
Eines Morgens standen wir alle gestiefelt und gespornt im Garten, der bereits wunderbar duftete, und machten uns auf, um die übliche Fastenwanderung zu unternehmen.
Emil stand mit den Kindern da und war ebenfalls abmarschbereit. Sie hatten prächtig gefrühstückt, und in den Kinderrucksäcken schlummerten prallgefüllte Lunchpakete. Ich hatte außer meinen Kräuterteeflaschen und Mineralwasserflaschen und Zitronenschnitzen zum Auslutschen noch jede Menge Windeln, Öltücher und Milchflaschen im Rucksack. Paulinchen im Tragesack war vor Emils Bauch geschnallt und schlief.
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