Der General und das Mädchen
bevor er erschossen wurde. Vielleicht hatte er ja doch direkt mit dem General etwas zu tun. Hatten Sie das Gefühl, er stand unter Streß?«
Germaine überlegte kurz, dann meinte sie: »Also, er hatte sicher keine Angst. Er sah mich, aber er wollte mich nicht dabei haben. Er brachte irgendwie zum Ausdruck, daß das hier sein Land ist, seine Burg. Sein Zuhause.«
»Das klingt wie der normale Carlo«, murmelte Böhmert. »Er muß hier irgendwo so etwas wie ein Lager gehabt haben.«
Ganze Waldungen von Hornklee waren hochgewachsen, und in schattigen Winkeln schoß der Buchenklee seine hellgrünen Pfeile in den Abendhimmel. Es gab Glockenblumen, Dickichte von Sichelluzerne, an den Wegen wucherten blaue Kissen der Wegwarte, dazwischen die eindringlichen Standarten des Roten Fingerhutes. »Hier müssen doch alle Blumenfreaks der Welt rumschleichen«, sagte ich.
»Nicht die Spur«, sagte Böhmert lächelnd. »Es ist verrückt, was so ein militärischer Zaun ausmacht. Kaum jemand traut sich rein. Es ist ja auch irgendwie unheimlich: ein komplettes leeres Dorf, man erwartet an jeder Ecke eine Überraschung.«
Da standen ganze Felder von Waldweidenröschen und wiegten sich im Wind. Der sanfte Lärm der Bienen und Hummeln war sehr eindringlich. Nirgendwo konnte man sich weiter von Gewalt entfernt fühlen als auf diesem ehemaligen Militärgelände. Und doch war der Grund, daß wir hier waren, brutaler Mord.
Germaine sagte: »Zuerst sah ich nichts, ich hörte nur die Schüsse. Dann kam ich diesen Erdwall runter und sah ihn in der Halle stehen und schießen. Ich machte ein paar Bemerkungen, und er sagte kein Wort. Er schoß einfach.«
Böhmert nickte. Dann ging er zu dem Pappkameraden. Carlo hatte der plumpen Figur mit Filzstift ein großes rotes Herz aufgemalt. Das Herz war vollkommen zerschossen. Rechts davon hatte jemand mit roter Farbe >Hitler was great!< auf den weißen Verputz gesprüht.
»Und wo ist jetzt die Waffe?« fragte ich.
Böhmert sagte: »Da müssen wir suchen.«
Wir trotteten also los. In dem Haus, in dem früher wahrscheinlich die Kantine der Mannschaften gewesen war, entdeckten wir schließlich eine Kammer, deren Außenmauer weggebrochen war. Erde war hineingeweht, und in einer alten, verrotteten Obstkiste blühte Kriechgünsel, wie um kundzutun, daß Mutter Natur dieses Menschenlager endgültig zurückerobert hatte. Böhmert stand da und starrte die Kiste an. »Das ist typisch Carlo!« sagte er dann grinsend und zog die Kiste weg. Dahinter stand eine rostige flache Metallkiste, wie Infanteristen sie für Munition verwenden. Sie war mit einem neuen, gut geölten Vorhängeschloß gesichert. Böhmert begann an dem Schloß herumzufummeln, und ehe ich noch nach einem Werkzeug hätte suchen können, hatte er es geöffnet und schlug den Deckel zurück. Es waren Dosen darin, Dosen mit gefüllten Paprikaschoten, Gulasch, Eintöpfen. Auf jeder Dose stand: >Guten Appetit! Von Ihrem Lieblingsmetzger aus Godesberg!< Auf einer Dose mit Rindsrouladen lag die Waffe.
»Neun Millimeter Parabellum«, murmelte Böhmert. Er beugte sich darüber. »Hersteller und Nummer ausgefeilt, es ist aber eine alte Luger, eine richtige Kanone. Hier ist auch Munition. Genug, um ein Dorf auszurotten. Komisch, das paßt irgendwie nicht zu meinem sanften Carlo.«
»Was hat man eigentlich seinen Eltern gesagt?« fragte ich.
»Unfall mit dem Motorrad im Wald. Zerschmetterter Kopf, weshalb sie ihn auch nicht mehr sehen dürfen. Irgendwer von der Geheimdiensttruppe hat das schöne Motorrad mit einem Vorschlaghammer bearbeitet, um die Sache überzeugend zu machen.«
»Und wie kommen wir an die Eltern ran?« fragte Germaine.
»Übermorgen ist die Beerdigung. Wenn Sie hingehen, wird Ihnen schon etwas einfallen.«
Im Westen begann sich der Himmel rot einzufärben, im Südosten türmten sich weiße Gewitterwolken auf. Vielleicht würde es Regen geben. Tief in Gedanken gingen wir zum Auto zurück. Böhmert hatte die Waffe in ein Taschentuch geschlagen; für ihn war der tote Carlo jetzt wirklich zu einem Problem geworden.
Im Wagen erinnerte ich ihn: »Sie wollten mir noch erzählen, wie das mit der Zerstörung der Häuser gewesen ist.«
»Das ist für mich der kritischste Punkt«, meinte er zögernd. »Wir nehmen an, daß diese Leute das Gutachten des Generals gesucht haben, aber genau wissen wir das nicht. Herr Baumeister, Sie müssen herausfinden, wie das Gutachten in
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