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Der General und das Mädchen

Der General und das Mädchen

Titel: Der General und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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versprach heiß zu werden.
      »Wo wohnt sie?«
      »Wehrgraben in Spandau. Kriege ich erst ein Frühstück?«
      Ich fuhr in die Innenstadt, wir parkten am Bahnhof Zoo und schlenderten den Ku'damm hinunter und suchten uns ein Frühstück. Es gab erst ein paar Touristen, und am Europa-Center fanden wir ein Straßencafe, das offen war. Noch ließ sich die Stadt aushalten.
      Pünktlich um acht hielten wir vor dem Haus am Wehrgraben in Spandau. Seepferdchen hieß Isolde, Isolde Eutin.
      Sie stand klein, kompakt, strahlend mit weit ausgebreiteten Armen in der Wohnungstür und quietschte: »Ich hab's doch geahnt! Kindchen, wie geht es dir? Wie geht es meiner kleinen Georgetown-Hexe? Ist das da deine neue Flamme?« Sie war bestenfalls einen Meter fünfzig groß, aber sie war überwältigend. Ihr Haar war wusche-lig silbergrau, ihr Gesicht rund und rosig wie das eines Babys. Sie konnte alles zwischen sechzig und achtzig sein.
      »Ich mußte kommen«, sagte Germaine und umarmte sie. »Ich mußte kommen, verstehst du? Otmar ist tot. Ich konnte es dir am Telefon nicht sagen. Irgendwer hat ihn erschossen.«
      Sie wurde von einem Moment zum anderen grau und steinalt. Sie hielt sich am Geländer fest, wollte etwas sagen, blieb stumm. Dann siegte das, was man ihr ein ganzes Leben eingetrichtert hatte: Disziplin, eiserne Disziplin. Sie winkte uns matt, ihr zu folgen, und ging durch die Wohnungstür. Durch einen großen Vorraum kamen wir in eines jener alten Berliner Wohnzimmer, die mit Möbeln und Krimskrams aus zwei Jahrhunderten vollgestellt sind und bei denen kein Mensch auf die Idee käme, das einen Stilbruch zu nennen.
      »Ich werde nicht weinen. Ich frage auch nicht, ob ich richtig gehört habe. Ja, ich habe richtig gehört, er ist tot. Ich habe auch gehört, daß er erschossen worden ist, also müssen wir reden.«
      Sie setzte sich auf einen echten Empiresessel, stützte sich auf die stämmigen Oberschenkel, und dann brach es aus ihr heraus: »Ich habe ihm, gottverdammt, immer gesagt, er soll vorsichtig sein. Aber war er vorsichtig? Nein, war er nie. Ich ... Ach Gott, ist das furchtbar. Wann ist es geschehen?«
      Germaine schniefte in ein Taschentuch. »Das alles ist erst ein paar Stunden her. Siggi Baumeister will herausfinden, wer es getan hat.«
      Isolde Eutin stand auf und bewegte sich zu den langen Tüllgardinen vor den hohen Fenstern. »Wir haben vor vierzehn Tagen noch miteinander telefoniert. Er war so gutgelaunt, so lustig. Er hat gesagt, ich soll mein altes Skelett in Ischia überholen lassen, nach Berlin zurückkehren und einen richtigen Kerl heiraten. Und jetzt. . . Ich fürchte, ich brauche noch eine Weile, Kinder.« Sie ging langsam und ganz in sich versunken zwischen uns durch, ihr Mund bewegte sich, als spräche sie weiter, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Dann ging ein Ruck durch die kleine Frau. »O Gott, Kinder, ihr seid doch sicher die ganze Nacht durch gefahren. Geh doch bitte in die Küche und brau euch einen Kaffee, sei so lieb, du wirst schon alles finden. Ich muß mal eine Weile ...« Sie schüttelte den Kopf und ging hinaus.
      »Sie hat ihn sehr verehrt«, murmelte Germaine. »Ich glaube, sie hat ihn richtig geliebt. Willst du einen Kaffee?«
      »Nein. Wie alt ist sie eigentlich?«
      »Ich weiß nicht, aber bestimmt 75. Es gab für sie eine Sonderregelung, sie wurde erst viel später pensioniert. Es gab Leute, die nannten sie die Steineiche, weil sie nie krank war und niemals eine Schwäche zeigte.«
      »Zwei Drittel aller Eichen sind todkrank«, sagte ich, nur um etwas zu sagen. Dann schwiegen wir beide.
      Ich weiß nicht mehr, wieviel Zeit verging, bis Isolde Eutin wieder auftauchte. Sie hatte sich in Schwarz gekleidet. Eine schwarze Hose zu einem schwarzen Männerhemd. Sie bewegte sich, als müsse sie angestrengt darauf achten, nicht gegen die Möbel zu laufen. Sie setzte sich vorsichtig in einen Sessel, seufzte und sagte: »Nun, erzählt mal, Kinder.«
      Germaine erzählte.
      Die Sonne wanderte vor den Fenstern von links nach rechts, irgendwann schlief ich ein und wurde wach, als Isolde gerade sagte: »Er war ja schon ein verrückter Hund, er hat's ihnen wirklich dauernd gezeigt.«
      »Wir müssen jetzt deine Koffer packen«, meinte Germaine.
      »Ja, ja«, sagte sie gedankenverloren. »Ich muß die Klamotten auswechseln. Mehr Schwarz, das bin ich ihm schuldig. Und dann muß ich auch noch etwas ändern.« Sie stand auf und ging hinaus

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