Der Gentleman
anderes Mädchen gibt auf Gottes weiter Erde?«
»Sicher, aber …«
Robert unterbrach sich selbst: »Sprichst du von Elisa?«
»Erraten.«
»Zieht's dich zu ihr?«
»Würde dich das wundern? Hier ist doch jetzt alles überstanden.«
Robert mußte plötzlich lachen – zum erstenmal wieder seit einer Ewigkeit, wie es ihm schien.
»Rolf«, sagte er und schüttelte ihm die Hand, »ich danke dir, du bist ein wahrer Freund. Ich weiß nicht, was ich in der vergangenen Nacht ohne dich gemacht hätte. Zähle immer auf mich. Ich hoffe allerdings, dir nicht auch einmal in einer ähnlichen Situation beistehen zu müssen.«
»Gott bewahre!«
»Karl Weinhagen könnte sich an dir ein Beispiel nehmen.«
»Du siehst den ganz falsch, Robert. Auch er ist nach wie vor dein Freund.«
»Daß ich nicht lache!«
»Warte nur ab, ich könnte mir das gar nicht anders vorstellen.«
Die beiden trennten sich. Rolf verließ das Krankenhaus und fuhr nach Blumenfeld, um sich in die Arme seiner sehnsüchtig auf ihn wartenden Elisa zu werfen; Robert blieb zurück auf dem Flur vor Lucias Krankenzimmer. Er wich dann nicht, auch nach zwei Stunden noch nicht, so daß er das Erbarmen der Stationsschwester fand, die es auf ihre Kappe nahm, ihm zu erlauben, sich zu Lucia ans Bett zu setzen. Er lauschte jedem ihrer Atemzüge, beobachtete alle ihre unbewußten Regungen. Langsam fielen ihm die Augen zu, er schlief ein und erwachte erst wieder, als sich Lucia stärker bewegte. Er merkte, daß er mit dem Kopf auf Lucias Bauch gelegen und in dieser halb sitzenden, halb liegenden Stellung geschlafen hatte, bis sich Lucia nun zur Wand drehte und dadurch seinen Kopf sozusagen ›abwarf‹. Er befürchtete, sie geweckt zu haben, doch sie setzte in regelmäßigen Atemzügen ihren Schlaf fort.
Die Stationsschwester kam herein.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte sie. »Sie gehen nach Hause –«
»Ich wohne im Hotel«, unterbrach er sie.
»In welchem?«
»Im Hotel ›Zur Post‹.«
»Dann gehen Sie dorthin, und ich rufe an und lasse Sie verständigen, wenn die Bewußtlosigkeit gewichen ist und es Sinn hat, daß Sie herkommen. Einverstanden?«
»Ja.«
»Wie ist Ihr Name?«
Sorant sagte es ihr.
In der ›Post‹ saß er dann herum und wartete auf den einzigen Moment, der ihm überhaupt noch wichtig genug erschien, daß der Erdball sich drehte.
»Wenn ein Anruf kommt, ich trinke in der Halle ein Glas Bier. Sie finden mich dort«, hinterließ er beim Empfang.
Oder: »Ich sitze in der Bar.«
Oder: »Ich lasse mir mal eben rasch die Haare schneiden.«
»Noch nichts?« fragte er, als er vom Friseur zurückkam.
»Leider nein.«
In diesem Augenblick schrillte das Telefon, und der Portier wurde gebeten, Herrn Sorant zu verständigen, daß –
»Er steht neben mir«, unterbrach der Portier die Anruferin. »Ich übergebe.«
Es war die Schwester.
»Sie können kommen«, sagte sie.
Robert hatte schon Blumen und zwei riesige Bonbonnieren besorgt. So ausgerüstet, hastete er nun zum Krankenhaus, stürmte die Treppe hinauf und fiel, da ihn niemand aufhielt, in Lucias Zimmer ein.
Lucia empfing ihn, aufrecht im Bett sitzend und verlegen lächelnd.
»Lucia«, stammelte er.
Sie lächelte schuldbewußt.
»Lucia …«
Ihr Lächeln wurde normal.
»Lucia …«
Er nahm sie in die Arme, nachdem er den Blumenstrauß und die Bonbonnieren auf die Bettdecke hatte fallen lassen.
»Was hast du gemacht, Lucia?«
»Es tut mir leid.«
»Das passiert nie wieder, versprich es mir.«
»Ich verspreche es dir.«
Robert wickelte den Blumenstrauß aus und überreichte ihn und eine Bonbonniere der erfreuten Lucia, deren Freude jedoch wich, als sie merkte, daß Robert ihr nicht auch noch die zweite Bonbonniere bescherte. Das Mißtrauen wurde wach in ihr.
»Hat sich hier noch eine andere vergiftet?« fragte sie ihn aggressiv.
»Wieso?« antwortete er verblüfft.
»Für wen ist die zweite Bonbonniere bestimmt?«
Robert begriff und lachte.
»Für die Schwester«, sagte er.
»Welche Schwester? Ist sie hübsch? Was hast du hier mit Schwestern zu tun?«
Lucia war schon wieder kräftig genug, um ihre Augen funkeln zu lassen.
»Deine Stationsschwester«, sagte Robert vergnügt. »Sie war sehr nett. Ich sehe aber, daß kein Zweifel an deiner Genesung mehr erlaubt ist. Du bist bereits wieder auf dem Damm.«
»Inwiefern war sie nett?«
Robert erzählte es ihr, und sie beruhigte sich.
Schlafmittelvergiftungsfälle sind kurzlebiger Natur. Entweder das Ziel –
Weitere Kostenlose Bücher