Der Gentleman
Gaben um so gesegneter sind. Üben solche Leute zufällig die Tätigkeit eines Schriftstellers aus, horchen sie nach innen und schreiben der Seele ihre Idealbilder ab. Ich denke an die blinde Helen Keller, eine berühmte amerikanische Autorin –«
»Ich weiß, ich kenne sie«, fiel Lucia ein.
»Würden Sie Ihren Robs auch dann noch lieben?«
»Wer sagt denn«, rief Lucia, »daß ich ihn liebe?!«
»Diesen Eindruck hat man aber, meine Beste.«
»Sie sind verrückt! Ich verehre ihn!«
Eine junge Mutter, die mit ihrem Kinderwagen vorüberkam, brachte das Gespräch der beiden kurz zum Erliegen. Dann fuhr Lucia wieder fort: »Sie sind ein Miesmacher, Herr Robs. Schwarzmalerei scheint Ihnen Freude zu bereiten. Die Regel sind nicht blinde Autoren, sondern gesunde; Helen Keller ist die Ausnahme.«
»Schwarzmalerei macht mir keinen Spaß, das ist ein Irrtum von Ihnen. Leider kann man aber nicht umhin, zu sehen, daß das Leben nun mal zum weitaus größeren Teil aus Enttäuschungen und Entsagungen besteht.«
»Interessiert Sie Philosophie, Herr Robs?«
»Wieso?«
»Weil ich den Verdacht habe, daß Sie schon viel Nietzsche und Schopenhauer gelesen haben. Stimmt's?«
»Ja, aber ich habe mir vom Lauf der Welt auch meine eigene und durchaus keine philantropische Meinung gebildet.«
Lucia blickte auf ihre hübsche Armbanduhr und sprang auf. »Du lieber Himmel, ich habe ganz vergessen, daß ich angerufen werde. Höchste Zeit für mich.«
»Ich komme mit.«
»Nicht nötig, danke, ich hab's jetzt furchtbar eilig. Außerdem muß ich hernach gleich wieder weg.«
»Und wann wollen wir mit unseren … Gesprächen beginnen?«
»Mit was?«
»Mit unseren Gesprächen.«
Tatsächlich, er wagt es, das zweimal zu sagen, dachte sie verärgert. Ich habe ihm wohl zuviel Hoffnungen gemacht, weil er nichts dabei findet, so unverhohlen auf sein Ziel loszugehen. Nicht gar so rasch, mein Lieber!
»Nie«, antwortete sie.
»Also bald.«
»Sie verstehen nicht deutsch.«
»Ich komme zu Ihnen.«
»Wann?«
»Wann darf ich?«
»Wenn die Eulen schreien«, sagte sie. Diese Redewendung fand dort, wo Lucia aufgewachsen war, immer dann Anwendung, wenn es klarzumachen galt, daß jemand ganz und gar nur einer Illusion nachjagte. Sorant war aber in Köln aufgewachsen und bewandert in der Ausdeutung anderer Redensarten.
»Die Eulen«, erwiderte er deshalb begeistert, »schreien um zwölf Uhr nachts. Eine wundervolle Zeit, um an Ihrer Tür zu läuten, Lucia.«
»Sie mißverstehen mich, Herr Robs. In Altenbach gibt's gar keine Eulen, die schreien. Wir sind nicht in Athen.«
»Notfalls fliege ich nach Athen, besorge mir ein Pärchen, bringe es her und setze es aus.«
»Adieu, Herr Robs.«
»Adieu, Lucia.«
Sie nickte ihm zu, wandte sich ab und eilte hinweg.
»Lucia!« rief er ihr nach.
»Ja?«
»Mein Name ist Heinz! Nicht vergessen bis zum Schrei der Eulen!«
Als er wenig später sein Hotel betrat, war er bester Laune. Der erste, der davon etwas abbekam, war der Kellner Eisner, den ›Martin‹ zu rufen ihm versagt war. Er begegnete ihm an der Treppe, die nach oben führte, und warf ihm eine Kußhand zu. Herr Eisner erbleichte nahezu. Was habe ich falsch gemacht, fragte er sich entsetzt, daß es dazu kommen konnte? Die Schulter, die ich ihm zeige, muß noch viel kälter werden.
Robert tänzelte, seiner Stimmung entsprechend, die Treppe hinauf. Dies gab Herrn Eisner, der ihm nachblickte, letzte Gewißheit. »Max«, beeilte er sich, den Pikkolo, dessen Ausbildung ihm anvertraut war, anzuweisen, »dem Gast auf Zimmer 76 gehst du aus dem Weg, verstanden!«
Max antwortete: »Sehr wohl, Herr Eisner. Aber wie soll ich das machen, wenn er mich ruft?«
»Frag nicht so dumm. Wenn du das noch nicht weißt, wirst du nie ein guter Kellner werden.«
»Sehr wohl, Herr Eisner. Und warum soll ich ihm aus dem Weg gehen?«
»Frag nicht soviel. Wenn du ein guter Kellner werden willst, mußt du nicht alles wissen.«
»Sehr wohl, Herr Eisner. Aber –«
»Halts Maul!«
Stumm nickte Max. Auf diese Weise machte seine Ausbildung täglich ihre Fortschritte.
Robert Sorant begegnete auf dem Flur seiner Etage dem Zimmermädchen und ließ auch dieses teilhaben an seiner Fröhlichkeit, indem er beim Vorbeigehen das leckere Hinterteil der Kleinen eines lustigen Klapses würdigte. Ihr wollten davon die Knie weich werden, und nicht nur diese.
»Was machen die Proben?« fragte er sie über seine Schulter.
»Welche Proben, Herr Sorant?«
»Die
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