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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Mund und legte los. Man darf ja nicht vergessen, er hatte auch noch eine Flasche Wein intus. In gräßlicher Weise tönte es durch die Nacht:
    »Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung, so morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot, Rös …«
    Weiter kam er nicht. Lucia Jürgens zeigte erste Kapitulationsanzeichen. Die Tür wurde aufgerissen, im Rahmen stand Lucia mit blitzenden Augen, wütenden Augen, erdolchenden Augen, machte eine energische Handbewegung, schüttelte wild die Locken und fauchte: »Seien Sie sofort still! Sie kompromittieren mich!«
    »Lassen Sie mich rein?«
    »Nein!«
    Robert Sorant nickte und fiel in seine Darbietung des Schreckens zurück:
    »Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach …«
    »Sie sollen aufhören!«
    Das war schon ein Befehl, bei dem sich die Stimme Lucias zu überschlagen drohte.
    Aber Sorant war nicht zu erschüttern. »Darf ich eintreten?«
    »Nein, sage ich Ihnen!«
    Wieder nickte Sorant.
    »Röslein auf der Heiden,
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach …«
    »Aufhören!«
    Schrill rief es Lucia und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
    Lächelnd blickte Robert sie an.
    »Darf ich rein?«
    »Nicht, solange ich lebe!«
    Und Roberts Mund öffnete sich wieder weit:
    »Mußt es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot …«
    Lucia Jürgens sah sich vor eine verzweifelte Wahl gestellt. Wenn sie jetzt nicht klein beigab, brüllte dieser Kerl ganz Altenbach zusammen. War ja schon ein Wunder, daß im Haus noch keine Lichter angegangen waren. Höchstwahrscheinlich standen aber schon genug Leute hinter ihren dunklen Fensterscheiben und stellten mit Genuß ihre Beobachtungen an.
    »Hören Sie mal, Herr Robs … Sie zwingen mich ja … ich lasse Sie ein …«
    »Wundervoll!«
    »Aber erst morgen vormittag um zehn Uhr …«
    »Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden …«
    Da streckte Lucia Jürgens endgültig die Waffen. Seufzend trat sie zur Seite, machte eine müde Handbewegung, und Robert Sorant schritt hocherhobenen Hauptes in den Hausgang.
    Sie stiegen eine Treppe empor, erreichten eine zweite Tür und standen in der Diele einer kleinen, hübsch eingerichteten Wohnung, die Zeugnis ablegte von einer ausgeprägten Wohnkultur der Besitzerin.
    »Nett«, meinte Sorant, sich umblickend. »Sie haben einen gediegenen Geschmack. Man könnte vermuten – beeinflußt von der Auswahl und Zusammenstellung der Möbel –, daß sie eine Künstlerin sind. Wohlgemerkt, eine Jüngerin der bildenden Künste.«
    Aber Lucia Jürgens reagierte darauf nicht. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, fuhr sie wild auf Sorant los: »Was wollen Sie hier? Wer hat Sie eingeladen?«
    »Sie.«
    »Sie sind ein bodenloser Flegel. Sie kompromittieren mich, ich wiederhole es. Wir sind hier in Altenbach, verstehen Sie, nicht in Köln. Das können Sie dort machen, aber keineswegs hier. Die Leute werden mit Fingern auf mich zeigen. Warum tun Sie das?«
    Robert Sorant, der schon im Wohnzimmer stand, ließ sich auf die breite Couch fallen.
    »Wenn ich sagen würde, ich tue das, weil ich Sie gern mag, würde das blöd klingen. So antworte ich also: um ihnen meine Philosophie zu erklären.«
    »Nachts um halb eins?«
    »Sie haben mich eingeladen für die Zeit, wenn die Eulen schreien.«
    »Der Sinn dieser Redensart ist Ihnen unbekannt?«
    »Welcher Sinn?«
    Dabei lächelte er Lucia unschuldig an.
    »Sind Sie so dumm, oder tun Sie nur so?« fragte sie.
    »Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie mich schon einmal – es ist noch gar nicht so lange her – als intelligent bezeichnet haben?«
    Im Moment wußte Lucia nicht, was sie darauf erwidern sollte. Aufgeregt lief sie im Zimmer hin und her und rang die Hände.
    »Was soll ich nun mit Ihnen machen? Wenn ich Sie rauswerfe –«
    »Singe ich wieder«, unterbrach er sie.
    »Nur das nicht, um Gottes willen!« Sie überlegte, schien zu einem Entschluß zu kommen, verwarf ihn wieder, schüttelte mit dem Kopf und rang sich dann dennoch dazu durch, zu sagen: »Genügt es Ihnen, wenn ich Ihnen eine Tasse Tee mache?«
    »Nicht ganz«, antwortete er.
    »Was denn noch?«
    »Tee mit Gebäck.«
    »Meinetwegen.«
    »Und dazu noch Tanzmusik.«
    Frechheit siegt, dachte er dabei und hatte wieder einmal nicht unrecht damit, denn Lucia, schon halb überwunden, seufzte und sagte:
    »Woher soll ich Tanzmusik nehmen? Ich habe keinen

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