Der Gentleman
Theaterproben.«
Trauriges mußte er erfahren. Er blieb kurz stehen. Eine Stunde zuvor hatte der Briefträger dem Partner des Zimmermädchens die Einberufung zur Bundeswehr gebracht, woraufhin in dem Burschen jegliches Interesse an der Ausübung höherer Künste jählings erloschen war.
Auf seinem Zimmer sang Sorant die sowjetische Hymne. Dies war keine politische Demonstration von ihm, sondern er erlag einfach dem Drang, zu singen, und so sang er eben das nächstbeste, was ihm im Ohr lag. Dies war die sowjetische Hymne. Der Grund war simpel. Sorant war Eishockeyfan und versäumte kein Olympia- oder Weltmeisterschaftsturnier am Fernseher. Und dabei wurde und wird fast immer nur eine einzige Siegeshymne gespielt: die sowjetische.
Sorants Gesang versetzte zwei oder drei Zimmer weiter eine alte Dame in Schwierigkeiten. Ihr Hund Leonidas wurde unruhig. Sie beschwerte sich deshalb bei der Hotelleitung. In diesem Zustand, sagte sie, sei der Hund nicht weit davon entfernt, um-sich-zu-beißen.
»Erkennt er denn die Hymne?« fragte Sorant, als man ihn von der Beschwerde in Kenntnis setzte.
»Anscheinend ja«, wurde ihm geantwortet. »Seine Rasse und seine böse Reaktion deuten darauf hin.«
»Welche Rasse?«
»Pekinese.«
Am Nachmittag begab sich Robert Sorant zum Buchdrucker Frey und wollte sich drei Visitenkarten auf den Namen ›Heinz Robs, Buchhändler, Köln‹ drucken lassen. Daran scheiterte er jedoch. Drei Visitenkarten fertigt man nicht an, das lohnt sich nicht; die Mindestzahl ist da fünfundzwanzig.
Robert verhandelte. Robert redete sich den Mund fusselig. Umsonst. Der alte Buchdruckermeister Frey war nicht zu erweichen. Fünfundzwanzig sei die Mindestzahl, verkündete er hartnäckig. Was soll der Mensch mit drei Visitenkarten?
Erst als Robert ihm den zusätzlichen Auftrag gab, tausend Briefbögen mit dem Kopf ›Robert Sorant‹ zu bedrucken, war der Mann zu bewegen, die drei bescheidenen Kärtchen sozusagen mitlaufen zu lassen.
Als der Abend nahte, erreichte Roberts Stimmung einen ersten Höhepunkt. Er verkonsumierte eine Flasche Wein, feierte so im voraus das, was ihm die kommende Nacht zu versprechen schien. Er prostete sich bei jedem zweiten Schluck selbst zu – bis, ja bis die Briefkarte kam. Ein kleiner Junge brachte sie ihm ins Hotel.
Es war ein äußerst glücklicher Zufall, daß der Junge direkt auf ihn stieß, als er nach Betreten des Gebäudes den ersten Erwachsenen, dem er begegnete, nach einem ›Herrn Heinz Robs‹ fragte. Niemand sonst als ›Herr Heinz Robs‹ selbst hätte diesen ja gekannt.
Die Briefkarte kam von Lucia Jürgens, die geschrieben hatte: ›Ihnen scheint vieles zuzutrauen zu sein. Es ist deshalb zu befürchten, daß Sie nicht davor zurückschrecken, um Mitternacht tatsächlich bei mir zu schellen. Sie davon abzuhalten, gibt's aber vielleicht doch ein Mittel, und ich will Ihnen dieses verraten: Sie sollten immer, wenn Sie Ihre Unternehmen starten, nicht vergessen, Ihren Trauring anzustecken, den Sie heute morgen vermutlich im Portemonnaie aufbewahrt hatten. Wenn Sie schon Ihre Frau betrügen, soll das doch mit Wissen derjenigen geschehen, die sich Ihnen dazu zur Verfügung stellt.‹
Schluß. Weiter nichts.
Robert fluchte im stillen. Er hielt sich seine rechte Hand vor Augen und fixierte sie scharf und lange. Von jenem berühmten helleren Streifen am Ringfinger, der Ehemännern das Leben oft sosehr erschweren kann, war nichts zu sehen; dafür hatten spezielle kleine Sonnenbäder gesorgt, denen in nicht zu großen Zeitabständen sich zu unterziehen zu den Lebensgewohnheiten Roberts gehörte. Und dennoch mußte der verdammte Streifen vorhanden sein, zumindest eine Ahnung davon. Die Briefkarte bewies das. Sahen Frauenaugen schärfer?
Robert ließ die Hand sinken, ging zum Spiegel, blickte sich eine Weile selbst in die Augen und sagte schließlich mit lauter, deutlicher Stimme: »Du Idiot!«
Und noch einmal: »Du Riesenidiot!«
Aber solche Selbsterkenntnisse pflegen in der Regel nicht lange anzuhalten. Zwei Stunden später sah Robert den Briefkartentext, der zur Depression bei ihm geführt hatte, schon wieder mit anderen Augen.
Die meint das ja gar nicht so, sagte er sich.
Und so kam es, daß er gegen Mitternacht unterwegs war zur Adresse Kölner Straße 20.
Die Sterne funkelten am Himmel, ganz so, wie man es in süßen Liebesfilmen sieht oder in schmalzigen Romanen liest. Ein leiser Wind trug dem jungen Mann die Sehnsucht voraus, und von den nahen Bergen senkte
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