Der Gentleman
von ihnen für viele aus …?«
»Verstehst du das nicht, Heinz?«
»Doch, doch, sehr gut sogar. Ich will auch gar nichts dagegen sagen.«
»Du warst schon in Kevelaer?«
»Ja. Du nicht?«
»Nein. Aber ich war schon in Altötting.«
»In Altötting?«
»Ja, von München aus.«
»Dann kennst du beides: Altötting und Kevelaer. Was den Katholiken in Bayern Altötting ist, ist denen am Niederrhein Kevelaer – nicht zu vergessen den katholischen Holländern. Berühmte Wallfahrtsorte sind das.«
»Wir befinden uns auch hier auf einem Wallfahrtsweg, Heinz, der freilich nur lokale Berühmtheit erlangt hat. Ich führe dich gleich zum Kapellchen, in dem du das wundertätige Muttergottesbild der Altenbacher sehen wirst.«
Robert Sorant staunte immer mehr über die verborgenen Reize, die ihm zu bieten Altenbach nicht aufhören wollte.
Und Robert Sorant hätte nicht Robert Sorant sein dürfen, um in diesem Zusammenhang nicht auch an die Masse junger, hübscher Mädchen zu denken, die ebenfalls absolut als Sehenswürdigkeit Altenbachs gelten konnten.
Was dieses Städtchen braucht, sagte sich Robert im stillen, als ihm Lucia zum Kapellchen vorausschritt, ist ein richtiger Fremdenverkehrsmanager, damit der Rubel so richtig zu rollen anfängt. Die Leute im Ruhrgebiet ahnen ja nicht, was ihnen hier fast vor der Nase geboten wurde. Das müßte ihnen bekanntgemacht werden – und wetten, daß dann der lukrative Rummel ganz rasch losginge.
Robert erschrak innerlich selbst bei dem Ausdruck ›der Rummel‹. Ja, der ginge los.
Bin ich verrückt, denen das zu wünschen, dachte Robert Sorant. Nichts Schlimmeres könnte Altenbach passieren, und ich glaube, die meisten Einwohner wissen das auch. Der Altenbacher sieht seine Wünsche erfüllt, wenn er am Abend nach getaner Arbeit seinen Schoppen trinken, einen Skat klopfen, kegeln, Billard spielen oder im Gesangsverein singen kann. Altenbach ist nicht Köln, dachte Robert, Gott sei Dank nicht.
Lucias Schritt verlangsamte sich. Sie wollte, daß Robert, der etwas zurückgeblieben war, aufschloß. Als dies erfolgt war, fragte sie ihn: »Was beschäftigt dich wieder?«
»Mich?«
»Dich.«
»Die ungenutzten Schönheiten Altenbachs.«
Sofort erwachte Lucias Mißtrauen. Sie blieb stehen.
»Du denkst doch nicht …?«
Sie brach ab, wie sie das recht oft tat. Es gehörte zu ihren Eigenarten, ganze Satzhälften zu verschlucken und dennoch sehr klar zum Ausdruck zu bringen, was ihr auf der Zunge lag.
»Willst du bestreiten«, provozierte Robert sie ein bißchen, »daß Altenbachs Schönheiten sozusagen brachliegen?«
»Ich verstehe dich hoffentlich falsch, Heinz.«
»Wie verstehst du mich denn?«
»Daß du an … an …« Das Wort wollte ihr kaum über die Lippen. »An … Fremdenverkehr denkst.«
»Dann hast du mich richtig verstanden«, nickte Robert.
Und Lucias spontaner Ausruf hallte durch den lichten Hochwald: »Du bist verrückt, total verrückt!«
Irgenwie gehetzt setzte sich Lucia in Bewegung, um ihm wieder vorauszueilen. Abstand schien sie von ihm gewinnen zu wollen.
Robert folgte ihr.
»Sieh mal«, redete er auf ihren Rücken ein, »du magst ja recht haben, daß es für die Wälder hier am besten ist, wenn sie ruhig bleiben. Und die Fische im Stausee werden auch nicht auf einem gesteigerten Badebetrieb scharf sein …«
Lucias Schritte beschleunigten sich.
»Aber«, fuhr Robert fort, »ich zähle zu Altenbachs ungenutzten Schönheiten auch noch die Masse junger, hübscher Mädchen. Mit denen habe ich mich beschäftigt.«
Lucia war wie angenagelt stehengeblieben und herumgefahren.
»Die sollten doch nicht verkümmern, Lucia. Denen würde etwas mehr Verkehr sicher guttun.«
»Verkehr?«
»Fremdenverkehr natürlich.«
Lucia hob beide Hände und spreizte die Finger ganz nah vor Roberts Gesicht.
»Ich kratze dir die Augen aus, wenn du mir noch einmal sagst, daß dich andere Weiber beschäftigen, ganz egal in welcher Hinsicht.«
»Sieh mal«, sagte Robert rasch und zeigte voraus, um die Gefahr abzuwenden. Der breite Waldweg, den die beiden beschritten hatten, war etwas schmaler geworden. Der Hochwald wich zurück und machte einem Tal Platz, das Ausblick auf einen Hügel gewährte, auf dessen Kuppe eine Blockhütte stand.
»Was ist das, Lucia?«
»Die Schutzhütte des Wandervereins. Ich zeige sie dir das nächste Mal. Man hat einen wundervollen Blick von da oben.«
»Warum nicht gleich?«
»Heute steht das Kapellchen auf dem Programm, hast du das schon wieder
Weitere Kostenlose Bücher