Der Gentleman
wieder.«
»Hoffentlich nichts Unangenehmes.«
»Hast du Schulden?«
»Nein«, antwortete Lucia ernsthaft. »Im Gegenteil, ich bin Gläubigerin.«
»Gläubigerin?«
»Ja.«
»Wer schuldet dir etwas? Sag es mir, damit ich mich darum kümmern kann.«
»Du willst dich darum kümmern?«
»Ja. Wer ist es?«
»Du selbst.«
»Ich?« stieß Robert verdutzt hervor. »Und was schulde ich dir?«
»Küsse.«
Sie lachten und machten sich dann eilends daran, wieder einer größeren Schuldenrate zu Leibe zu rücken. Es war ein wechselseitiges Abtragen und Kassieren.
»Und jetzt«, sagte Lucia schließlich außer Atem, »muß ich dich noch einmal fragen, wie die auf dich als Chefredakteur gekommen sind. Du bist Komponist und nicht Journalist.«
»Schätzchen«, erwiderte er geduldig, »die ›Kunstschau‹ – so heißt die Zeitschrift – ist ein Blatt für Kulturelles. Es handelt sich also um eine Fachzeitschrift. Entsprechend werden Themen und Stil in ihr sein, streng gegliedert, nüchtern. Der Feder eines Thomas Mann bedarf es dazu nicht, sondern es genügt, daß einer ein klares, einfaches Deutsch – ohne Fehler natürlich – schreiben kann. Voraussetzung ist nur, daß er die Materie, über die er sich verbreitet, beherrscht. Verstehst du das?«
Lucia nickte.
»Entwirfst du mir also die zwei Köpfe für die Zeitschrift, mein Engel?«
»Wer? Ich?«
»Wer denn sonst?«
»Ich?« Lucia war noch immer überrascht. »Ich soll die entwerfen?«
»Deshalb spreche ich doch mit dir darüber, mein Engel.«
»Aber …«
»Was aber?«
»Ich kann das doch nicht. Ich habe noch nie –«
»Herrgott«, unterbrach Robert sie und blickte mit verdrehten Augen empor zur Decke, »geht das schon wieder los! Und ich dachte, dieses Theater hätten wir hinter uns!«
»Heinz, ich kann das wirklich nicht!« Lucia sagte das sehr überzeugt und fügte zur Bekräftigung noch einmal an: »Wirklich nicht!«
»Großer Gott im Himmel!« Robert sandte einen zweiten, noch längeren Blick mit noch verdrehteren Augen empor, der die Decke durchdrang und aufstieg durch das Weltall bis zum Thron des Allmächtigen. »Fang nicht wieder damit an!«
»Heinz, ich …«
Robert schloß nun die Augen und wandte das Gesicht zur Seite. Er weigerte sich, Lucia anzusehen.
»Ich weiß doch nicht, Heinz …«
Robert alias Heinz hielt an seiner Weigerung fest.
»Schau mich an, Heinz.«
Die Bitte – es war mehr ein Befehl – verhallte ungehört.
»Du sollst mich anschauen!«
Mit geschlossenen Augen und abgewandtem Gesicht antwortete Robert: »Nur, wenn du die Köpfe entwirfst.«
»Heinz, ich …«
»Entwirfst du sie?«
Lucia schwieg. Bleierne Stille umgab die beiden. Lange hielt das Lucia nicht aus, dann rief sie: »Ja, verdammt noch mal!«
Ein strahlender Blick aus den geöffneten Augen Roberts dankte es ihr.
Des kindischen Spieles war es nun wieder einmal genug.
»Morgen geht's los«, sagte Robert entschlossen.
»Du mußt mir aber wieder helfen«, entgegnete Lucia.
»Natürlich tue ich das, mein Schatz.«
»Und was machen wir jetzt?« fragte sie, das Unangenehme von sich weisend. Ihr lüsterner Blick war zum Fenster gegangen.
»Du willst hinaus ins Freie, mein Schatz?«
»Es hat längst aufgehört zu regnen. Die Sonne scheint wieder.«
»Aber die Wege werden noch naß sein.«
»Na und?«
Es war nur ein Scheingefecht, das Robert führte. Er setzte es fort.
»Du hast schon erlebt, wie empfindlich ich bin. Ich hole mir leicht etwas.«
»Ich habe auch erlebt, wie rasch du wieder gesunden kannst. Es bedarf nur schlichter Kartoffelküchelchen, die dich heilen.«
»Dann los!« sagte Robert lachend, und Lucia stürzte mit einem Jubelschrei ins Schlafzimmer, aus dem sie nach wenigen Minuten ausgehfertig angekleidet wieder zum Vorschein kam. Sie trug nun ein Dirndl, das sie während ihrer Studienzeit in München erstanden hatte, und sah entzückend darin aus.
Arm in Arm verließen die beiden das Haus, wanderten über die Steinbrücke des Flüßchens, bogen nach rechts ab und kamen auf einem sich dahinschlängelnden Fußweg in einen lichten, von Försterhand gepflegten Hochwald, in dem alle hundert Meter am Wegesrand eine Votivtafel stand, eines jener Gebilde also, die man so gern an Wallfahrtswegen zur Erneuerung der Gebete aufstellt.
Sorant sah sich interessiert die Tafeln an und sagte: »Wie in einem Wallfahrtsort. Solche Dinger sah ich in Kevelaer haufenweise, Zeugnisse einer meist primitiven und naiven Malerei. Und was geht dennoch
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