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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vergessen?«
    »Wie weit ist es noch bis zu dem?«
    »Ein paar Minuten.«
    Es war ein richtiges Wallfahrtskapellchen, auf Felsen erbaut, mit spitzem Hütchen und einem kleinen Pförtchen, inmitten von Wildbächen gelegen, die im Winter vereisten und leise krachten. Im Inneren befanden sich ein paar enge Bänke, bunte Scheiben mit Heiligen, ein Muttergottesbild von erstaunlicher Schönheit, viele Kerzen und noch mehr Blumen. Einige Pilger knieten in den Bänken und murmelten Gebete. Es war direkt feierlich und doch – es war ein ausgesprochen süßes, lustiges Kapellchen.
    Mehr ein Spielzeug als ein Heiligtum.
    Frohes Lob Gottes.
    Gebet der Freude.
    Sorants Herz weitete sich. Darüber müßte er ein Gedicht schreiben, vielleicht eine Ballade: ›Waldkapelle‹ … ›Letzter Gang‹ … oder so ähnlich. Verse von der Gläubigkeit der Menschen.
    Aber Lucia riß ihn aus seinen Gedanken. »Komm, setzen wir uns ein wenig«, sagte sie und zog ihn hin zu einer der Bänke, die nahe am Gitter über dem rauschenden Wildbach standen. »Ruh dich ein paar Minuten aus, denn wenn ich mit dir zurückgehe, schleife ich durch den Wald, bergauf und bergab.«
    Robert setzte sich nur etwas zögernd. Der Ort paßte ihm nicht so ganz, und zwar deshalb, weil es ihm die Nähe des Heiligtums verbot, Lucia ganz einfach wieder einmal in die Arme zu nehmen, was schon längere Zeit nicht mehr geschehen war. Die Hügel, die von allen Seiten das Kapellchen einschlossen, und der rauschende Hochwald wirkten hier in ihrer Schönheit merkwürdig dämpfend auf allzu menschliche Gefühle. Man spürte ganz besonders die Erhabenheit der Natur und die Winzigkeit des Menschen, die Nichtigkeit des Lebens vor der Ewigkeit der Schöpfung. War es nicht auch Goethe gewesen, der diese Sublimität des Göttlichen gespürt hatte, als er auf den Höhen des Thüringer Waldes in sein Tagebuch schrieb:
    Über allen Gipfeln
Ist Ruh'.
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vöglein, schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
    Wahrlich, wie klein, wie armselig ist der Mensch. Und doch gelingt es ihm, die Natur zum Teil in seine Retorten, Maschinen, Stahlöfen und Gruben zu zwingen. Der Mensch ist nicht selten stärker als sie, weil Gott ihm des Lebens Kürze verbessern half; er stattete den Menschen mit dem Geist und der Gabe aus, jene Mittel zu schmieden, die es ihm ermöglichen, sich die Natur dienstbar zu machen.
    Robert Sorant schreckte auf. Lucias Hand hatte ihn berührt.
    »Ja?« flüsterte er fragend.
    »Träumst du?«
    Er lächelte verlegen.
    »Es scheint fast so.«
    »Und wovon träumst du?«
    »Vom Leben«, erwiderte er. »Vom Leben im Vergleich mit der Natur. Und von Gott, der sich zeigt in all seiner Güte und Weisheit, indem er uns dies Leben gibt und – nimmt.«
    Lucia blickte ihn erstaunt an. In diesem Moment konnte sie ihn nicht verstehen. Für sie war diese Gegend überwältigend; es lohnte sich, sie zu malen oder zu fotografieren – aber das Geheimnis ›Leben‹ hinter ihr zu sehen?
    Sie schüttelte den Kopf.
    Keiner verlangt von dir, das zu verstehen, mein Engel, dachte er, weil du nämlich eine Frau bist, eben nur eine Frau mit Gefühl und Seele, und das ist gut so, sehr gut sogar.
    Er stand auf.
    »Wollen wir gehen? Trotz aller Schönheit vergißt meine Uhr nicht, daran zu erinnern, daß der Tag nicht ewig währt.«
    Lucia machte ihre Drohung war, sie suchte nicht die bequemsten Wege, sondern solche, die über Stock und Stein, bergauf und bergab führten, und daraus resultierte schließlich, daß Robert, als sie nach zwei Stunden ihr Heim wieder erreicht hatten und sich in die Sessel fallen ließen, das war, was man ›knieweich‹ nennt. Er, der es gewohnt war, alle Strecken – auch die kürzesten – mit dem Auto zurückzulegen, er, der in Köln zu bequem war (Möpschen nannte ihn dafür faul und träge), einen Bummel durch den Stadtwald oder das großzügig angelegte Stadion zu machen, er mußte sich hier stundenlang durch die Gegend scheuchen lassen, mußte Berge hinaufkriechen und Hänge hinunterrutschen – und hatte am Ende auch noch zu beteuern, wie schön und erholsam dieser Spaziergang gewesen sei.
    Man konnte auch übertreiben.
    Was zuviel war, war zuviel.
    Am offenen Fenster stehen und frische Luft tanken – ja. Im Garten dem Gezwitscher der Vögel lauschen – ja.
    Einen Hügel hinaufwandern – ja.
    Aber nicht zehn Hügel!
    Nicht dem Gekrächze der Krähen ausgesetzt sein!
    Nicht vor lauter frischer Luft

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