Der Gentleman
vergessen, wie gut der Mief in einer Kneipe riechen kann!
»Lucia«, sagte Robert seufzend, »man kann auch übertreiben.«
»Was kann man übertreiben, Heinz?«
»Das Wandern.«
»Stimmt, Heinz. Ein drittes Mal möchte ich den heutigen Weg an einem Tag nicht mehr machen. Aber zweimal fand ich ihn wunderbar.«
»Lucia«, entgegnete Robert erschüttert, »willst du damit sagen, daß du diesen Weg heute vormittag schon einmal zurückgelegt hattest?«
»Fast.«
»›Fast‹, sagst du. Du meinst also einen kürzeren?«
»Nein. ›Fast‹ sagte ich, meine aber einen längeren.«
»Einen längeren?« schrie Robert auf.
»Ich war auch noch bei der Blockhütte des Wandervereins.«
»Das glaube ich dir nicht, Lucia.«
»Ich kann's dir beweisen.«
»Wie denn?«
»Ich habe fotografiert. Warte ab, bis der Film entwickelt ist.«
»Lucia …«
»Ja, Heinz?«
»Du wirst mir unheimlich.«
Sie lachte und sprang munter auf, wie um ihm zu zeigen, daß sie noch lange nicht am Ende war. Sie spielte die Überlegenheit der wesentlich Jüngeren gegenüber einem Manne aus, der ein Jahrzehnt mehr auf dem Buckel hatte, der zu ›reifen‹ begonnen hatte – um nicht zu sagen: zu altern.
»Weißt du, was ich uns jetzt mache, Heinz?«
»Was denn?«
»Kartoffelpuffer«
»Herrlich!« stöhnte Robert, dem ganz rasch das Wasser im Mund zusammenlief, und er wollte sich noch tiefer in seinen Sessel sinken lassen. Doch daraus wurde nur ganz kurze Zeit etwas.
»Und zwar handgeriebene«, sagte Lucia.
»Fantastisch!« jubelte Robert.
»Ich bin nämlich nicht so begeistert von den Fertigpackungen.«
»Ich auch nicht.«
»Also, komm mit in die Küche und reibe mir die Kartoffeln. Das machst du doch?«
Robert ertrug die kalte Dusche mit Würde, folgte Lucia, nachdem er zu ihr »Aber natürlich, mein Engel, nichts lieber als das« gesagt hatte, in die Küche, ließ sich die benötigten Arbeitsgeräte aushändigen, klemmte sich die Schüssel zwischen die Knie, stellte die Reibe in die Schüssel und rieb verbissen die Kartoffeln, die Lucia geschält hatte.
Um sich dabei auch geistig zu betätigen, entwickelte er folgenden Plan:
Ab morgen muß mit Volldampf an den Zeitschriftenköpfen gearbeitet werden.
Und zwar schon von acht Uhr früh an; es geht nicht mehr anders, die Zeit drängt.
Von zwölf bis eins Mittagessen; Kartoffelpuffer nur noch in Ausnahmefällen.
Bis halb zwei ein kurzes Verdauungsschläfchen.
Ab halb zwei, spätestens zwei Uhr bis zum Abendessen wieder konzentrierte Arbeit an den Köpfen.
Abendessen nicht vor sieben Uhr.
Zwischendurch von morgens bis abends nur seltene und jeweils kurze Pausen für Küsse und zärtliche Worte.
So also sah der Plan aus, den Robert entwickelte. Lucia mußte ihn billigen, ob sie wollte oder nicht. Das war am 16. Mai.
Am 18. Mai war der Plan bereits durcheinandergeraten, am 19. Mai dachte keiner der beiden mehr an ihn.
Schuld daran war der Frühling mit seinem herrlichen Sonnenschein, und schuld war auch wieder Altenbach mit seiner schönen Umgebung. Robert gewöhnte sich auch an längere Spaziergänge, er wurde sogar süchtig danach.
Leidtragender war der inländische Zeitschriftenkopf – vom ausländischen gar nicht zu reden –, der über einen Rohentwurf nicht hinauskam.
Lucia und Robert blühten bei ihren Wanderungen in der frischen Luft so sehr auf, daß ihre Gedanken mehr um das Rauschen der Wälder und das Plätschern der Bäche kreisten, als um berufliche Pflichten. Das ging so weiter, bis endlich am 20. Mai ein Eilbrief vom Verlag Koppenhöfer bei Robert Sorant im Hotel eintraf, in welchem an die Zeitschriftenköpfe erinnert wurde, deren Entwürfe man schon erwarte.
»Verdammich!« fluchte Robert, eilte im Geschwindschritt zur Kölner Straße und warf Lucia, die noch geschlafen hatte, eigenhändig aus dem Bett.
»Bist du verrückt?« jammerte Lucia. »Was ist los?«
»Aufstehen! Arbeiten! Die schönen Tage sind vorüber!«
»Aber es ist doch noch nicht einmal acht Uhr.«
»Nicht zu früh für einen Eilbrief, den ich bekommen habe.«
»Welchen Eilbrief?«
»Die warten auf die Zeitschriftenköpfe.«
»Auf welche Zeitschriftenköpfe?« Es sollte ein Witz sein, aber damit kam Lucia heute schlecht an bei Robert, der mit durchaus zornigem Gesicht Drohungen ausstieß.
»Wenn du nicht in fünf Minuten im Atelier erscheinst, kannst du was erleben!«
»In fünf Minuten?«
»In vier!«
»Wie soll ich das machen – mich vorher waschen, frisieren, anziehen,
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