Der Gentleman
ich verehre, mit der ich aber noch nie geschlafen habe.«
»Was heißt denn das?« Die Alte kicherte. »Ein geistiger Betrug, ein seelischer, kann viel bedeutsamer sein als ein körperlicher. Wollen Sie sich davon lossprechen?«
Er schwieg.
»Ihr Traum ist leicht zu deuten«, fuhr die Alte, der schon klar war, daß sie gesiegt hatte, fort. »Sie haben sich in die Gefahr begeben, daß Sie Ihre Frau verlieren, und zwar an einen der Männer, von denen sie begehrt wird; an einen der geilen, wie Sie sagen. Und Sie selbst können daran zugrundegehen. Der einstürzende Turm, Ihre einstürzende Ehe begräbt Sie.«
»Hören Sie auf!« krächzte Robert Sorant.
»Geben Sie mir Ihre linke Hand«, forderte die Alte ihn resolut auf und packte ihn schon bei den Fingern, drehte sie um und blickte eine Weile schweigend auf die Handlinien.
Damit hatte der Mumpitz der Darbietung begonnen, während vorher dem Treiben der Alten ein beträchtliches Maß an reeller Bedienung nicht abzusprechen gewesen war. Die Dame hatte da eben nur das getan, was alle Wahrsagerinnen, die tüchtig sind, tun: dem Kunden unauffällig die Würmer aus der Nase zu ziehen und die Würmer als die eigenen preiszugeben.
»Wie alt werde ich?« fragte Sorant. Es sollte noch einmal, wie anfänglich, ironisch klingen; das mißlang aber.
»Mich interessiert nicht Ihr Alter, sondern etwas anderes, das ich sehe …«
»Was?«
»Ohrfeigen.«
»Ohrfeigen?«
»Eindeutig.«
»Von wem?«
»Von Ihrer Frau.«
»Das können Sie sehen?«
»Sehr gut sogar.«
»Und wann soll ich mit diesen Ohrfeigen zu rechnen haben?«
»Vielleicht schon bald.«
»Wissen Sie, daß meine Frau solche Gewaltakte kategorisch ablehnt?«
»Das wäre kein Gewaltakt.«
»Was sonst?«
»Ein Gewaltakt ist, wenn ein Mann seine Frau ohrfeigt; ohrfeigt aber eine Frau ihren Mann, so ist das eine Erziehungsmaßnahme.«
Damit war die Vorstellung beendet. Die Wahrsagerin reichte Sorant die Hand, und er befand sich rasch wieder draußen vor der Tür und wußte dort immer noch nicht, was er eigentlich hätte sagen wollen.
Dem Taxichauffeur teilte er mit: »Die war auf Draht.«
»Das sind die alle«, antwortete der Chauffeur trocken.
»Waren Sie auch schon bei ihr?«
»Nein.«
»Aus Überzeugungsgründen nicht?«
»Aus finanziellen. Die war mir zu teuer.«
»Und wie steht's diesbezüglich mit Ihrer Überzeugung?«
Das war eine Gewissensfrage, die der schlitzohrige Taxichauffeur folgendermaßen beantwortete: »Die Überzeugung kommt für unsereinen erst in zweiter Linie. An sich glaube ich, daß das alles Mumpitz ist. Wenn ich mir aber viele unserer Abgeordneten und Minister ansehe, kann ich doch nicht annehmen, daß ich schlauer bin als die.«
Robert Sorant fand diese Antwort bemerkenswert.
»Oder daß ich schlauer bin als Sie«, setzte der Chauffeur sogar noch hinzu.
»Als ich? Wieso?«
»Weil Sie doch auch nicht glauben, daß das Mumpitz ist.«
Darauf gab's nur eine Erwiderung, die Sorant auch sich selbst schuldig zu sein glaubte.
»Natürlich glaube ich das!« sagte er im Brustton tiefster Überzeugung.
»Warum sind Sie dann zu der gegangen?«
Ja, warum? Das hätte man schon viele fragen können.
Sorants matte Antwort, die zu erwarten war, lautete: »Aus Spaß.«
In Altenbach beglich er dem Taxifahrer eine gepfefferte Rechnung, zu der die Uhr aufgelaufen war.
Irgendwie hatte die ganze Geschichte in Sorant das Gefühl wachgerufen, daß er seiner Frau einen längeren Brief schreiben müsse. Er holte deshalb in seinem Hotelzimmer Schreibzeug und Briefpapier hervor.
›Mein süßes Möpschen‹, fing er an – und hörte schon wieder auf. Für Minuten jedenfalls. Er geriet ins Träumen, vergegenwärtigte sich die Hochzeitsnacht. Möpschen war nämlich als Jungfrau in die Ehe gegangen. Wo gab's denn das heute noch? Und dann die Flitterwochen …
Ganz warm wurde es Robert ums Herz. So schrieb er denn schnell noch ›mein leckeres Möpschen‹ unter das ›süße Möpschen‹.
Dann folgten zwei Seiten Naturbeschreibung, eine Seite Bericht über Gesundheitszustand, Appetit, Hotelservice, und am Ende kam die dicke Lüge: ›Übermorgen fahre ich geschäftlich nach Braunschweig, von dort nach Detmold, Bielefeld, Essen und zurück nach Köln und werfe mich in Deine weichen, offenen Arme.‹
Das wird sie davon abhalten, auf dumme Gedanken zu kommen, dachte er. Die Reise soll als Verheißung über ihr hängen. Daß die Reise in Wirklichkeit erst später erfolgt – oder gar nicht
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