Der Gerechte
gegen das Gesicht. Die Haut erinnerte mich an Teig. Ich tastete sie ab, gab sogar etwas Druck, aber unter ihr knisterte und knirschte nichts. Dort blieb alles ganz normal. Dieses ungewöhnliche Glas hatte sich ausschließlich an den Wundrändern gebildet, wo die Waffe den Mann erwischt hatte.
Welche Waffe?
Kein Messer, eine Lanze oder wer weiß was. Ich fand keine Erklärung und war auf die Aussage des Zeugen gespannt. Schweigend ging ich auf das kleine Waschbecken zu und reinigte mir die Hände mit Kernseife. Dabei überlegte ich.
Noch immer wurde ich das Gefühl nicht los, daß in dieser verdammten Zelle etwas seinen Anfang genommen hatte, das zu einer gewaltigen Bedrohung anwachsen würde und dem wir kaum Widerstand entgegensetzen konnten. Diese vier Wände bargen ein unheimliches Geheimnis. Es gab zwar keinen Anhaltspunkt für uns, aber es hatte mit einem normalen Fall nichts zu tun. Hier spielte eine hintergründige, nicht erklärbare und unheimliche Kraft eine wichtige Rolle. Sie hatte sich zurückgezogen, davon ging ich jedenfalls aus, denn mein Kreuz zeigte keinerlei Reaktion. Ich trocknete mir die Hände mit dem eigenen Taschentuch ab und drehte mich dabei auf der Stelle, den Blick gegen die Wände der Zelle und ebenfalls gegen die Decke gerichtet. Es lauerte nichts mehr, trotzdem ging ich davon aus, daß noch irgend etwas als Rest zurückgeblieben war.
Ich drehte mich um.
Drei Augenpaare schauten mich an.
Ich hob die Schultern.
»Ratlos?« fragte Snyder.
»Leider.«
»Das waren wir auch.« Er räusperte sich. »Was werden Sie denn unternehmen?«
»Die Leiche haben wir gesehen, das Rätsel ist deshalb nicht kleiner geworden. Mich würde natürlich ein Gespräch mit dem Zeugen besonders interessieren.«
»Das hatten wir uns schon gedacht«, sagte Snyder. »Stanley Nessé wartet bereits auf uns.«
»Da wäre noch etwas«, sagte Suko, bevor sich der Direktor zur Tür wenden konnte. »Weshalb hat dieser Mann hier eigentlich eingesessen?«
»Wegen fünffachen Mordes.«
»Wie bitte?« Nicht nur Suko war überrascht, auch ich. Damit hatten wir beide nicht gerechnet.
Snyder hatte unsere Überraschung sehr wohl registriert. »Nun, es war kein vorsätzlicher Mord, das kann ich Ihnen versichern. Das ist auch bei der Gerichtsverhandlung herausgekommen. Es war mehr ein Unfall mit schrecklicher Todesfolge. Goldblatt stand unter Alkohol-und Drogeneinfluß, als er mit seinem Lastwagen von der Straße abkam und in einen besetzten Campingplatz raste. Es hat fünf Tote gegeben, denn der Wagen explodierte, nachdem er umgekippt war. Fünf Tote und mehrere Verletzte. Deshalb wurde er zu drei Jahren verurteilt.«
Ich strich über mein Kinn. Ich glaubte auch, mich an den Fall zu erinnern, der damals viel Staub aufgewirbelt hatte. Tagelang hatten sich die Medien wegen dieses Unfalls überschlagen, und jetzt war der Mann tot. Umgekommen auf eine unheimliche Art und Weise und an bestimmten Stellen seines Körpers verglast. Etwas paßte da nicht zusammen, da war ich mir sicher. Waren bei dem Unfall magische Kräfte mit im Spiel gewesen? Schlecht vorstellbar, aber ich nahm mir vor, mir Einblick in die Protokolle zu verschaffen. Erst einmal mußten wir mit dem Zeugen reden.
»Verglast«, flüsterte Dr. Abelton. »Warum ist das geschehen? Können Sie mir das sagen?«
»Wir wissen es selbst noch nicht.«
»Aber wir werden es herausfinden«, erklärte Suko. »Dann geben wir Ihnen Bescheid.«
»Das hoffe ich.«
»Wollen Sie jetzt mit dem Zeugen sprechen?« fragte Snyder, dem es in dieser Zelle wohl nicht gefiel. Da erging es ihm nicht anders als uns.
»Das wäre gut«, sagte Suko.
Wir verließen den engen Raum.
Ich ging als letzter und warf noch einen Blick zurück. Hier zu leben, war schlimm. Wenn ich allein die Gitterstäbe vor dem Fenster ansah, wurde mir komisch zumute. Was hatte sich hier abgespielt? Welches Geheimnis verbargen die Wände?
Leider konnten sie nicht reden.
Aber der Zeuge würde reden.
Auf ihn war ich gespannt.
***
Stanley Nessé wartete in einem schmalen, sehr kahlen Raum, der ebenfalls einer Zelle glich, da er auch ein vergittertes Fenster aufwies. Nur war es größer.
Man hatte den Gefangenen nicht allein gelassen. Ein Aufpasser stand neben ihm, aber Nessé war nicht in der Lage, einen Fluchtversuch zu wagen. Er hockte auf einem harten Holzstuhl, hatte den Oberkörper nach vorn gedrückt und seinen Kopf auf die Arme gelegt, die ihren Platz auf dem Tisch gefunden hatten.
Er sprach
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