Der Gerechte
nicht.
Der Arzt hatte sich verabschiedet. Als wir den Raum betraten, schickte Thornton Snyder den Aufpasser hinaus, der sehr schnell verschwand. Nessé hatte nicht einmal den Kopf gehoben, was Snyder nicht gefiel.
»He, setzen Sie sich anständig hin, Mann. Hier sind zwei Männer, die mit Ihnen reden wollen.«
Es gab genügend Stühle für uns drei. Suko und ich hatten uns eine Sitzgelegenheit herangeholt.
Nessé bewegte sich sehr langsam. »Laßt mich doch in Ruhe, verdammt!« keuchte er.
»Nein, Sie werden sprechen!«
Der Gefangene schaute uns an. Der Blick war glanzlos, völlig leer und in sich gekehrt. Die Zeit in der Zelle hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen, denn seine Haut sah so aus, als wäre sie mit grauer Asche bestreut worden. Er hatte müde Augen, eine spitze Nase und Bartschatten an den Wangen. Die Hände zitterten, obwohl er sie ineinander verkrallt hatte.
Als wir uns vorgestellt hatten, winkte er nur müde ab. »Bullen?« flüsterte er.
Das Wort sagte eigentlich alles. Da wußten wir, was er für uns empfand.
»Reißen Sie sich zusammen, Nessé!« fuhr Snyder ihn an.
»Lassen Sie ihn mal«, sagte ich. »Wenn ich in einer derartigen Zelle hocken würde, hätte ich kaum anders reagiert.«
»Bravo.« Nessé klatschte.
Snyder biß sich auf die Unterlippe. Er machte einen beleidigten Eindruck und überließ uns das Feld.
»Sie wissen, um was es geht!« sprach ich ihn an. »Und Sie haben sicherlich ein Interesse daran, daß diese Tat aufgeklärt wird. Deshalb sind Sie ein wichtiger Zeuge, Mr. Nessé.«
Er machte den Eindruck, als wollte er in die Höhe springen. »Einen Scheißdreck bin ich!« keuchte er, und wir sahen die Angst in seinem Blick. »Ich bin nichts wert, ich bin ein Stück Dreck. Hier ist niemand etwas wert, niemand. Aber eines sage ich Ihnen: Ich gehe nie mehr in diese verdammte Zelle zurück. Haben Sie gehört? Nie mehr! Da kann kommen, was will.«
»Das brauchen Sie auch nicht.«
»Wunderbar.«
»Wir werden Sie woanders unterbringen!« stimmte auch Snyder mir zu. Er versuchte sogar zu lächeln.
»Sie sind Zeugen«, sagte Nessé. Er deutete abwechselnd einmal mit dem Finger auf mich, dann auf Suko.
»Aber Sie sind auch ein Zeuge«, erklärte mein Freund mit sanfter Stimme. »Der uns sicherlich helfen kann. So wäscht dann eine Hand die andere. Es ist möglich, daß wir ein gutes Wort für Sie einlegen werden. Vorzeitige Entlassung…«
»Ja, ja, schon gut. Das habe ich oft genug gehört. Was wollen Sie denn wissen?«
»Alles.«
Er lachte, doch es klang nicht echt. »Alles, Sie machen sich vielleicht Vorstellungen.«
»Sie waren schließlich dabei.«
»Na und?«
Suko blieb auch weiterhin gelassen. »Deshalb müssen Sie den Killer gesehen haben.«
Nessé lehnte sich zurück. Er verdrehte dabei die Augen und hatte seine Sicherheit zurückgefunden. »Was glaubt ihr denn, was ich schon alles gesagt habe? Man glaubt mir nur nicht. Man lacht mich aus, man hält mich für einen überdrehten Spinner.« Den nächsten Satz zischelte er durch die Zähne. »Aber da war doch etwas mit der Wunde, wenn ich mich nicht irre – oder?«
»Stimmt.«
»Das ist gut, das ist sogar sehr gut. Jetzt stehen Sie nämlich vor einem Rätsel. Kein Schwein wollte mir glauben, daß die Gestalt plötzlich in der Zelle stand. Sie war einfach da, versteht ihr? Sie brauchte weder eine Tür noch ein Fenster zu öffnen. Wenn ihr mich fragt, so ist sie durch die geschlossene Tür oder die Wand gekommen. Einfach so. Locker und leicht, als wäre es völlig normal. Ist ein Hammer, nicht wahr?«
»Das stimmt.«
»Habe ich mir auch gedacht«, erklärte er. »Ich weiß aber nicht, wie es geschehen konnte. Es ging alles so plötzlich und unerwartet. Auf einmal war er da.«
»Mann oder…«
»Nein, Mr. Inspektor. Das war eine Gestalt, ein Geist, ein Gespenst, und es hat Jeff Goldblatt gekillt. Einfach so. Es hat ihn umgebracht. Irgendein Ding in den Leib gestoßen. Ich lag unter ihm, ich habe gezittert und hatte das Gefühl, als wäre mein Herzschlag eine Trommel.« Er schlug sich selbst gegen die Brust, um es zu demonstrieren. »Und ich habe sogar das Beten wieder gelernt. In diesen Augenblicken hatte ich die Hosen gestrichen voll. Die Erscheinung verschwand wieder so, wie sie auch gekommen ist, und ich blieb lebend zurück. Aber über mir lag ein Toter. Ich hörte sogar das Blut zu Boden tropfen. Immer das gleiche Geräusch. Klatsch, klatsch, klatsch…«
»Ja, ja, schon gut«, sagte Snyder. »Das
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