Der Gesandte der Götter (German Edition)
wir?“ fragte Loara erstaunt. „Und wie lange waren wir unterwegs? Mir kam es nur wie ein Augenblick vor.“
„Und doch waren wir einen ganzen Tag unterwegs“, klärte Rotron sie auf. „Dort in der Senke seht ihr das Dorf Raven, das etwa einen halben Tagesritt vom Schloss entfernt liegt.“
„Ja, jetzt erkenne ich die Gegend!“ rief Chiron. „Welches Wunder! Die Götter haben Euch mit gewaltigen Kräften ausgestattet, Rotron. Was für ein Glück, dass Ihr sie für und nicht gegen uns einsetzt!“
„Nenne es nicht Glück, Chiron!“ sagte Rotron ernst. „Denn hättet ihr euch meine Hilfe nicht verdient, würden die Götter sie euch nicht gewährt haben. Doch nun ist die Stunde unseres Abschieds gekommen, denn ich werde zurückgerufen. Von nun an werdet ihr eure Schwierigkeiten ohne meine Hilfe meistern müssen, doch ich bin sicher, dass ihr das schaffen werdet. Und jetzt habe ich noch ein Abschiedsgeschenk für euch.“
Er klatschte in die Hände und drei wunderschöne Rappen stürmten aus dem Gehölz und hielten schnaubend vor ihnen an. Ihr Fell glänzte in der untergehenden Sonne wie mit Silber übergossen und ihr Sattelzeug war von feinster Arbeit. Staunend betrachteten die drei die herrlichen Tiere.
„Es sind zwar nicht die Pferde, die ihr die ganze Zeit geritten habt“, lächelte Rotron, „denn auch sie mussten wie ich wieder zurückkehren. Aber dennoch bin ich gewiss, dass ihr in ganz Varannia und auch in Soradans Reich ihresgleichen so schnell nicht finden werdet. Sie sollen euch an mich und die dienstbaren Geister erinnern, die die Götter euch in der Not gesandt haben. Ich denke, so oft ihr sie reitet, werden eure Dankgebete den Göttern wohlgefällig sein. Und nun, lebt wohl! Der Segen der Götter möge stets auf euch ruhen!“
Und damit war er verschwunden, noch ehe die drei Gefährten ihm hatten danken können.
Als sich die drei von ihrer Verblüffung erholt hatten, bestiegen sie die Pferde und ritten auf das Dorf zu. Sie stellten auf einmal fest, dass sie sehr hungrig und durstig waren. Sie kehrten im Dorfgasthaus ein, und als sie bei einem kräftigen Mahl saßen, meinte Chiron:
„Lasst uns heute nicht mehr weiterreiten, sondern hier übernachten. Ich möchte nicht noch einmal wie ein Dieb in der Nacht in mein Schloss zurückkehren.“
Doch Leoris hatte einen anderen Vorschlag. „Bleibt ihr beide hier“, meinte er. „Ich will voraus reiten und dafür sorgen, dass dem heimkehrenden König und seiner schönen Braut ein gebührender Empfang bereitet wird. Außerdem will ich dem Vater so schnell wie möglich die gute Nachricht von Loaras Befreiung mitteilen.“
Chiron und Loara waren einverstanden. Sie freuten sich, nach all den ausgestandenen Ängsten wieder vereint zu sein und die Nähe des anderen ungestört genießen zu können.
Leoris brach nach dem Essen auf, aber Chiron und Loara saßen noch lange auf der Bank vor dem Haus, eng aneinander geschmiegt, und berichteten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen. Noch waren sie zu aufgewühlt von den Ereignissen, um an Schlaf zu denken, und so war es weit nach Mitternacht, als Chiron sich erhob.
Er zog Loara in die Arme und küsste sie lange und innig. „Ich weiß, du wirst es verstehen, mein Liebling“, sagte er, als er sich von ihr löste, „aber dieses Bauerngasthaus scheint mir nicht der richtige Ort zu sein, das Band unserer Liebe neu zu knüpfen. Wenn wir zurückgekehrt sind, soll in wenigen Tagen unsere Hochzeit gefeiert werden, denn dann bin ich wieder der König von Varannia und deiner würdig. Dann will ich mit Freuden nehmen, was du mir gibst – nicht mit Gewalt und nicht aus Mitleid, sondern als gegenseitiges Geschenk, so, wie die Liebe es bewirkt. Darum lass uns nun doch aufbrechen. Wir werden unter den Sternen durch deine neue Heimat reiten, und wenn der Morgen anbricht, werden wir endlich heimkehren! Ich sehne mich danach, nach so unendlich langer Zeit wieder als freier Mann im Hause meiner Väter zu weilen.“
Loara war sofort einverstanden, denn sie sehnte sich nach ihrem Vater freute sich darauf, ihn wiederzusehen.
Und so ritten sie bereits eine halbe Stunde später in die Nacht hinein. Als der Morgen kam, näherten sie sich dem Schloss. Von einer kleinen Anhöhe aus sahen sie es vor sich liegen. Die Strahlen der aufgehenden Sonne glänzten auf den Dächern und Zinnen und bunte Wimpel flatterten auf allen Türmen.
Freudentränen glänzten in Chirons Augen, als
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