Der Gesandte der Götter (German Edition)
getötet, und sein Neffe übernahm die Herrschaft. Aus Anlass seiner Krönung wurden die Kerker geöffnet, und da niemand wusste, wer ich war, wurde auch ich freigelassen.
Sofort machte ich mich auf den Weg zurück in die Heimat, doch da ich völlig mittellos war, musste ich immer wieder meinen Weg unterbrechen, um Geld zum Überleben zu verdienen. Als ich die Grenzen zu meinem Reich überschritt, war ich bestürzt, als ich die Armut in unserem einst so reichen Land sehen musste. Ich hörte, dass mein Bruder König geworden war, was mich nicht verwunderte, da er ja mein Erbe war. Doch ich konnte nicht verstehen, was mit dem Land geschehen war, denn niemand wollte mir, dem Fremden, genaueres erzählen. Überall herrschte Misstrauen und jeder fürchtete Verrat, wenn er sich über die Zustände im Land beklagte. Keiner erkannte mich, denn die Jahre in Farinors Verlies hatten mich verändert. Vier Jahre in einem Kerker zählen doppelt so viel wie in Freiheit. Wie schon in Farinors Land musste ich auch hier mein Brot bei den Bauern verdienen, doch wenig genug hatten sie zu geben. So kam ich nur langsam voran.
Eines Tages jedoch hatte ich eine seltsame Begegnung. Ich war gerade von einem Dorf aufgebrochen, wo ich mich einige Tage bei einem Bauern als Helfer verdingt hatte, als ich unterwegs auf einen Mann traf, der am Wegesrand saß und anscheinend eine kurze Rast hielt. Als ich an ihm vorbeiging, grüßte ich ihn und wünschte ihm einen guten Weg. Da erhob sich der Mann und sagte: „Mein Freund, glaubst du nicht, dass der Weg zu zweit besser zu gehen ist? Wenn es dir recht ist, so wollen wir gemeinsam weiterwandern.“
Der Fremde war sehr groß, und ein schwarzer, langer Bart, mit grauen Fäden durchzogen, gab ihm ein ehrwürdiges Aussehen. Seine dunklen Augen musterten mich prüfend. Doch er gefiel mir und hatte etwas Vertrauenerweckendes. So willigte ich in seinen Vorschlag ein und wir setzten unseren Weg gemeinsam fort. Er fragte mich, wohin ich gehe, und ich erzählte ihm, dass ich zur Hauptstadt wolle. Eine Weile unterhielten wir uns über Alltäglichkeiten, als er plötzlich unvermittelt zu mir sagte: „Ich sehe dir an, dass viel Schweres hinter dir liegt, doch ich glaube auch, dass noch Schwereres dich erwartet. Darum höre meinen Rat: Hüte dich vor denen, die dir nahe stehen, aber vertraue auf die, die dir am entferntesten scheinen. Und merke dir meinen Namen - ich heiße Rotron! Erinnere dich dieses Namens, wenn du einmal in einer ausweglosen Lage bist. Und nun, mein Freund, sage ich dir Lebewohl, denn unsere Wege trennen sich hier. Vielleicht aber sehen wir uns einmal wieder.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und schlug einen Weg ein, der von der Straße abzweigte und zu einem Dorf in der Ferne führte. Ich sah ihm eine Weile nach, denn seine Worte waren mir seltsam vorgekommen. Dann ging ich weiter. Als ich mich jedoch nochmals nach ihm umblickte, war er verschwunden, obwohl der Weg zum Dorf völlig einzusehen war. Nicht einmal ein Busch stand am Wegrand, hinter dem er stecken konnte. Es war, als habe er sich in Luft aufgelöst.
Von da an jedoch hatte ich seltsamerweise Glück. Ein fremder Handelsherr dingte mich zu seinem Schutz, und da ich ihm bei einem Überfall durch Wegelagerer das Leben rettete, schenkte er mir ein Pferd und eine Waffe und gab mir ausreichend Reisegeld. So war ich in der Lage, das letzte Stück des Weges schnell zurückzulegen.
So, Ordin, jetzt weißt du, was mir widerfahren ist. Und nun bitte ich dich, mich zu meinem Bruder zu führen. Aber sage ihm nicht, wer ich bin, wenn du mich ihm meldest! Ich möchte ihn überraschen. Tu so, als habest du mich nicht erkannt.“
„Herr, seid auf der Hut!“ warnte der Alte und sah Chiron mit bangen Augen an. „Ich fürchte für Euch, denn ich kann mir nicht denken, dass Menas erfreut ist, Euch wiederzusehen. Vielleicht will er Euch Böses.“
„Aber Ordin! Er ist doch mein Bruder!“ entgegnete Chiron verständnislos. „Und es war nie Feindschaft zwischen uns. Warum sollte sich das geändert haben? Hat er nicht stets betont, er sei froh, dass nicht er der Ältere sei, sondern dass ich die Verantwortung für das Reich tragen müsse? Nur Xoras macht mir etwas Kopfzerbrechen. Er wird den vertrauensseligen Menas zu all dem Übel angestiftet haben. Doch ich werde schon mit dem Burschen fertig werden.“
Ordin sah seinen Herrn zweifelnd an, aber er machte keine weiteren Einwände. Während Chiron erzählte, hatte der
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