Der Gesandte der Götter (German Edition)
Ihr noch viel Freude an ihm haben!“ Ein dämonisches Grinsen zog über Xoras‘ hässliches Gesicht.
„Du hast Recht, Xoras!“ Mit mühsamer Beherrschung steckte Menas die Waffe wieder in die Scheide. „Aber ich werde das selbst übernehmen. Diese Beleidigung wird er mir noch teuer bezahlen. Doch heute habe ich keine Lust mehr dazu, denn ich bin müde. Lass uns gehen. – Ich wünsche dir eine angenehme Nachtruhe!“ zischte er Chiron zu. „Du kannst dich schon auf morgen freuen, denn dann werde ich mich mit dir weiter unterhalten.“
Die beiden verließen den Kerker und ließen Chiron im Dunkeln zurück. Chirons Herz war zerrissen, und Trauer und Zorn wühlten in seiner Seele. Er hatte Darona sehr geliebt. Der Gedanke an sie und die Hoffnung, sie vielleicht eines Tages doch wieder in die Arme schließen zu können, hatten ihn in den Jahren in Farinors Kerker aufrechtgehalten. Voller Schmerz dachte er daran, welche Qualen das zarte Mädchen in den Händen seines unmenschlichen Bruders erduldet haben musste. In der Dunkelheit stiegen die Bilder ihrer Leiden vor ihm auf, und sein Hass auf Menas und Xoras wuchs ins Unermessliche. Nur noch ein Gedanke erfüllte sein Denken: Darona an diesen beiden Ungeheuern zu rächen! Verzweifelt zerrte er an seinen Ketten, aber diese gaben nicht nach. Nach einiger Zeit gab er seine nutzlosen Befreiungsversuche erschöpft auf. Die Ermüdung hatte auch seine Erregung gedämpft und er sah nun ein, dass er mit Gewalt nichts erreichen würde. Nur klare und nüchterne Überlegung konnte ihm vielleicht einen Weg aus seinem Gefängnis weisen. Wieder verfluchte er seine Leichtgläubigkeit seinem Bruder gegenüber. Wie konnte er nur so blind gewesen sein? Hatte Menas nicht schon als Kind ein egoistisches und besitzergreifendes Wesen gehabt? Stets hatte er haben wollen, was Chiron besaß, und hatte dieser es ihm geschenkt, so war es nach kurzer Zeit entzwei oder Menas hatte das Interesse daran verloren. Und wie oft hatte er den Heranwachsenden daran hindern müssen, die Dienerschaft zu schlagen oder die Tiere auf dem Schloss zu quälen. Aber immer wieder hatte er eine Entschuldigung für die Unarten des mutterlosen Knaben gefunden, denn er liebte seinen kleinen Bruder sehr, der es stets verstand, im etwas abzuschmeicheln. Nur diese blinde Liebe hatte ihn die untrügliche Zeichen missachten lassen, die ihn vor einer so törichten Begegnung mit Menas hätten warnen müssen. Doch nun war es zu spät, das zu bereuen. Er musste einen Weg finden, hier wieder herauszukommen! Er zermarterte sich das Hirn, aber er sah keine Lösung. Ordin fiel ihm ein, der sicherlich mit angesehen hatte, was ihm widerfahren war. Doch wie hätte der alte Mann ihm helfen können? Der Kerker war bewacht, und den Schlüssel zu seinem Gefängnis trug Menas am Gürtel. Auch würde niemand dem alten Diener glauben, wenn er verbreitete, wer der Gefangene sei. Ja, Ordin selbst liefe in diesem Falle Gefahr, im Kerker zu landen oder gar ermordet zu werden, wenn Menas von dessen Wissen erführe.
Der erste Schein des grauenden Morgens fiel durch den Lichtschacht hoch oben in der Wand, doch Chiron hatte immer noch keinen Ausweg gefunden. Und bald würde Menas erscheinen, um ihn zu foltern - sein kleiner Bruder Menas!
Was hatte doch der Mann auf dem Weg gesagt? Hüte dich vor denen, die dir nahe stehen! Wie recht er gehabt hatte! Der Mensch, der ihm am nächsten stand, hatte ihn grausam betrogen. Doch dann fielen ihm auch die anderen Worte des geheimnisvollen Wanderers ein: V ertraue auf die, die dir am entferntesten scheinen! Und erinnere dich an meinen Namen!
Wie hatte er doch geheißen? Ach ja, Rotron!
Doch was war ihm im Augenblick am entferntesten? Das mochten die Götter wissen! Die Götter! Ja das war es! Vertraue auf die Götter hatte der Fremde sagen wollen. Chirons trockene Lippen formten den Namen: „Rotron!“ stieß er mühsam mit heiserer Stimme hervor. Doch dann stieg tief aus seinem Inneren ein Schrei der Verzweiflung auf. „Rotron!“ schrie er, und das Echo schalte von den Wänden des Gewölbes wieder.
Auf einmal war der Kerker von einem seltsamen Leuchten erfüllt. Und plötzlich stand der geheimnisvolle Weggefährte vor Chiron, der ihn ungläubig und verwirrt ansah.
„Es ist gut, dass du dich meiner erinnerst, mein Freund“, sagte Rotron, „denn nun kann ich dir helfen.“
„Wer seid Ihr?“ stammelte Chiron. „Und wie seid Ihr hier hereingekommen?“
„Diese Erklärung
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