Der Gesandte der Götter (German Edition)
zurückziehe“, sagte Xoras und verbeugte sich leicht. „Das Aufheben des Banns über Leoris und seinen Leuten braucht Zeit und Kraft. Außerdem genügt es nicht, den Bann zu lösen, ich muss auch bewirken, dass sich alle gegen ihren Willen hierher begeben. So viele Menschen unter Kontrolle zu halten, ist auch für jemanden wie mich schwer. Doch auch Ihr müsst noch Vorbereitungen treffen. Nur Eure treuesten Leute dürfen Leoris und sein Gefolge in Empfang nehmen, damit sich seine Gefangennahme nicht im Land verbreitet und es Unruhen gibt. Wir können zu unseren Schwierigkeiten mit Soradan nicht auch noch eine Revolte im eigenen Land gebrauchen, denn das würde meine Kräfte überfordern. Befehlt, dass morgen Abend, wenn es völlig dunkel geworden ist, Eure Männer Leoris und sein Gefolge erwarten. Lasst dann den Prinzen sofort in den Kerker bringen, die Leute aber sollen in einen der unbenutzten Räume geführt werden. Ich werde mich dann später mit ihnen befassen. Und nun entschuldigt mich!“
Am nächsten Abend bewegte sich ein gespenstischer Zug auf das Schloss zu. Es waren Leoris und seine Männer. Wie eingefroren, die blicklosen Augen starr in die Dunkelheit gerichtet, saßen sie auf ihren Pferden. Auch die Tiere bewegten sich, als seien sie statt aus Fleisch und Blut Bilder aus einem Traum. Als sich das Burgtor hinter ihnen geschlossen hatte, stiegen die Männer wie Marionetten aus den Sätteln. Ohne jede Regung ließ sich Leoris in den Kerker führen. Seine Männer folgten den Kriegern, die sie in ein abgelegenes Gemach der Burg führten. Loaras Frauen befanden sich bereits darin, doch auch sie glichen unbeweglichen Puppen. Selbst den rohen Kriegern des Menas kroch beim Anblick dieser unwirklichen Gesellschaft ein Schauer über den Rücken und sie verließen eilends den Raum. Da öffnete sich die Tür und der Magier trat ein. Ein befriedigtes Lächeln verzog seinen Mund, als er der erstarren Gestalten ansichtig wurde.
„Hört mir zu!“ zischte er, und wie an Fäden gezogen wandten sich die Gebannten zu ihm um. Mit leiser, eindringlicher Stimme erteilte er ihnen den Auftrag, Soradan die Botschaft zu überbringen, die er Menas am Abend zuvor erklärt hatte. Doch sein finsteres Herz hatte noch Ärgeres ausgebrütet. „Sagt Soradan noch Folgendes: Sollte er nicht gewillt oder in der Lage sein, uns Chiron auszuliefern, wird Leoris bis zu seinem Tod im Kerker bleiben müssen. Wir brauchen den Prinzen dann als Pfand dafür, dass Soradan uns nicht angreift. Will er jedoch nicht, dass sein Sohn sein ganzes Leben in Ketten verbringt, so muss er uns eine andere Garantie dafür geben, dass er den Frieden wahren wird. Und nur, wenn Loara Menas‘ Weib wird, ist dies gewährleistet. Soradan mag wählen! In seiner Hand liegt das Schicksal seiner Kinder. Ihr werdet jetzt reiten, doch werdet ihr von alldem, was hier seit dem Morgen von Loaras Verschwinden geschehen ist, nichts mehr wissen , bis ihr die Grenzen eures Landes überschritten habt.“
Teilnahmslos gingen die Leute an Xoras vorbei in den Schlosshof hinunter. Dort stiegen sie auf die bereitgestellten Pferde und ritten stumm in die Nacht hinein. Erst als sie einige Meilen vom Schloss entfernt waren, löste sich ihre Erstarrung und sie benahmen sich wieder natürlich. Doch jeder von ihnen war nur von dem einen Wunsch beseelt, so schnell wie möglich die Heimat zu erreichen. Wenige Stunden nach Chirons Aufbruch erreichte Leoris‘ Gefolge Soradans Schloss und überbrachte dem Königspaar die schreckliche Nachricht. Erst jetzt erfuhren die völlig verstörten Leute, was sich in der Zeit zugetragen hatte, in der sie sich in Xoras‘ Bann befanden.
Soradan war außer sich vor hilflosen Zorn. Bedrückt zog sich die Königin mit Loara in Ihre Gemächer zurück, von Angst und Sorgen um ihren einzigen Sohn gequält.
Einige Tage vergingen. Soradan war ratlos, und oft bat er die Götter, sie mögen die grausame Entscheidung von ihm nehmen, eines seiner Kinder ins Unglück stürzen zu müssen. Er verfluchte den Tag, an dem er jenen großen Ball gegeben hatte, zu dem er die Fürsten der umliegenden Länder geladen hatte, damit Loara sich einen Gemahl wählen konnte. Auf diesem Ball sah Loara Menas, und damit hatte das Unglück begonnen. Denn Loara hatte mit Schmollen und Schmeicheln den Widerwillen des Vaters gegen ihre Gattenwahl zu überwinden gewusst, und so hatte Soradan letztendlich seinen Segen zu jener verhängnisvollen Verbindung gegeben. Doch
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