Der Gesandte der Götter (German Edition)
antworten. Chiron, der das Schweigen des Königs als Antwort nahm, zog sein Schwert, um es sich durch den Leib zu stoßen, als Soradan sagte:
„Halt! Zwar weiß ich um Eure Tat und habe sie Euch nicht vergeben, aber weder Mitleid noch Geringschätzung Eurer Person haben mich gehindert, Eure Schuld mit dem Tod zu vergelten. Doch ihr hattet eine Fürsprecherin, deren Wunsch ich nicht abschlagen konnte – meine Tochter! Da sie der Meinung ist, Euch durch ihr eigenes Verschulden zu Eurer Tat gereizt zu haben, will sie Euren Tod nicht. Ebenso wenig aber kann ich von ihr verlangen, einen Mann zu heiraten, der ihr solches antat. Doch wenn Ihr meine Meinung hören wollt, so will ich sie Euch nicht verhehlen!“ Seine Stimme wurde drohend. „In meinen Augen ist ein Mann, der solches tat, meiner Tochter niemals würdig – so hochwohlgeboren und mächtig er auch sein möchte! Und wäre es nach mir gegangen, so wäre Euer Hals schon längst unter dem Schwert. Da Loara aber von mir Euer Leben erbat und ich Euch außerdem mein Wort gegeben habe, Euch zu helfen, werde ich dies auch tun, denn ich pflege gegebene Versprechen stets zu halten. Doch wollt Ihr Eure Schuld sühnen und Eure Ehre wiederherstellen, so müsst ihr wohl die einzige Gelegenheit ergreifen, die ich Euch dazu lasse. Ihr werdet versuchen müssen, Loara zumindest ihren Bruder wiederzugeben. Denn den leichtesten Weg durch den Tod von eigener Hand könnt Ihr nun nicht mehr wählen. Wie könntet Ihr Euch jetzt noch in Euer Schwert stürzen, wo Euer Opfer um Euer Leben bat? Und das, Chiron, ist es, womit ich Euch Eure ruchlose Tat vergelten lasse. Ich verurteile Euch dazu, entweder mit Eurer Schuld zu leben, bis es Euch möglich ist, meinen Sohn zu retten, oder ehrlos zu sterben, wenn Euch das Schicksal ereilt, ohne dass Euch die Befreiung meines Sohnes gelingt.“
„Euer Urteil ist hart, Soradan, härter als der Tod“, antwortete Chiron, „denn es zwingt mich, mit meiner Schande zu leben. Und die Hoffnung, sie zu tilgen, ist gering, denn ich habe mächtige Gegner. Aber ich nehme das Urteil an, und mit der Hilfe der Götter will ich versuchen, Euren Sohn zu retten, wenn mir die Allmächtigen nicht auch ihre Gunst entzogen haben. Morgen früh breche ich auf.“
Damit verneigte er sich vor Soradan und schritt hinaus.
Loara hatte hinter einem Vorhang gestanden und alles mit angehört. Jetzt kam sie hervor und warf sich schluchzend in die Arme ihres Vaters.
„Du hast ihn in den Tod geschickt, Vater! Ich werde ihn wohl nie mehr wieder sehen. Warum hast du das getan?“
„Ich tat es um seinet- genauso wie um deinetwillen“, antwortete Soradan. „Nur wenn es ihm gelingt, Leoris zu retten, wird er vor sich selber wieder geradestehen können. Denn selbst wenn du einer Heirat zugestimmt hättest, hätte ihm dies das Bewusstsein seiner Schande nicht genommen. Er wäre todunglücklich gewesen, obwohl er dich liebt. Und auch du hättest wohl kaum dein Glück darin gesehen, einem Manne anzugehören, der dir gegenüber ein übermächtiges Schuldgefühl hegt. Chiron muss etwas vollbringen, was ihm als Wiedergutmachung an dir erscheint. Vielleicht wirst auch du dann vergessen können, was dich heute noch mit Furcht vor ihm erfüllt.“
„Du wirst wohl Recht haben, Vater. Trotzdem fürchte ich für ihn.“ Loara hatte sich etwas beruhigt. „Aber er kann unmöglich allein den Kampf gegen Menas und den heimtückischen Xoras gewinnen. Gib ihm wenigstens einige gute Kämpfer mit.“
„Das hat wenig Sinn, Loara“, wandte Soradan ein, „denn bei einem offenen Kampf wäre er auch mit Gefährten der Macht seines Bruders und des Magiers nicht gewachsen. Chiron weiß das. Darum will er auch allein gehen. Nur mit List und Glück kann es ihm gelingen, Leoris zu befreien, wenn dieser überhaupt noch lebt. Und ich bin überzeugt, wenn es überhaupt jemanden gelingt, deinen Bruder zu befreien, dann Chiron! Denn ziehe ich jetzt mit einem großen Heer gegen Menas, wird der Leoris eher töten, als ihn mir auszuliefern. Daher werde ich erst zum Krieg aufbrechen, wenn ich die schreckliche Gewissheit habe, dass dein Bruder nicht mehr lebt. Jeder übereilte Schritt von mir in dieser Richtung zum jetzigen Zeitpunkt würde Leoris‘ Leben nur gefährden. Wenn Menas ihn noch nicht getötet hat, stellt er für ihn als lebende Geisel ein viel besseres Druckmittel dar, mit dem er mich daran hindern kann, sein Land mit Krieg zu überziehen. Auch das ist ein Grund,
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