Der Gesandte der Götter (German Edition)
Lippen.
7. Loaras Entscheidung
Nachdem sie noch einige Meilen in dem schwierigen Gelände zurückgelegt hatten, wurde deutlich, dass auch die Männer am Ende ihrer Kräfte waren. Chiron merkte, dass er sich nur noch mit äußerster Willensanstrengung im Sattel halten konnte, und sagte daher zu Leoris:
„Wenn ich nicht in die Irre gegangen bin, werden wir in kurzer Zeit am Rande des Waldes auf ein abgelegenes Gehöft stoßen. Es liegt so einsam, dass wir es wagen können, dort eine Weile zu bleiben. Die Leute da waren immer sehr freundlich. Ich glaube nicht, dass irgendeine Nachricht von unserem Aufenthalt dort zu Menas gelangen wird. Und außerdem brauchen wir dringend etwas zu essen. Wir werden daher dort Unterschlupf suchen, wenn es Euch recht ist.“
Loara war bei Chirons Worten aufgewacht. Sie rieb sich die Augen und blickte sich um. Als sie bemerkte, dass sie an Chirons Brust geschlafen hatte, fuhr sie mit blutrotem Gesicht auf.
„Verzeiht“, stammelte sie, „dass ich Euch Ungelegenheiten bereitet habe! Ihr hättet mich wecken sollen.“
„Nein, Prinzessin, warum hätte ich Euch wecken sollen?“ antwortete Chiron sanft. „Dass Ihr in meinen Armen so ruhig geschlafen habt, war für mich ein kostbares Geschenk, das abzuweisen mir nicht möglich war. Und außerdem wart Ihr völlig erschöpft. Der Schlaf hat Euch gut getan.“
„Ich bin auch froh, dass du etwas geschlafen hast“, sagte Leoris. „Du warst bleich wie ein Leinentuch und nun siehst du schon etwas besser aus. Chiron hat dich gut behütet.“
Wieder flog eine Blutwelle über Loaras Gesicht, doch dann hatte sie ihre Beherrschung wiedergefunden. Ein Anflug ihres alten Hochmutes blitzte in ihren Augen, als sie sich nun steif aufrichtete.
„Ich hoffe, dass sich die gute Hut nun bald auch auf eine Mahlzeit und ein Bett ausdehnt!“ sagte sie, und in ihrer Stimme schwang leichter Spott mit.
„Seid unbesorgt!“ antwortete Chiron. „Wir werden wohl in einer Viertelstunde das Bauernhaus erreichen. Dort werdet Ihr etwas zu essen und auch einen Schlafplatz bekommen. Ich hoffe, dass ich zumindest fähig bin, dieses Problem zu lösen.“
Ihre schnippische Bemerkung hatte das Lächeln aus seinem Gesicht gewischt. Nicht Vertrauen hatte sie also in seinen Armen Schlaf finden lassen, sondern nur ihre übergroße Müdigkeit. Leoris bemerkte die Enttäuschung in Chirons Augen, und er nahm sich vor, einmal mit Loara zu reden, damit sie ihren Zynismus in Zukunft zügelte.
Kurze Zeit später lenkte Chiron den Rappen aus dem Wald, und wirklich – in einiger Entfernung lag am Waldrand ein Gehöft. Als sie bei dem Haus ankamen, trat eine alte Frau aus der Tür.
„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ rief sie ihnen zu. „Wenn ihr uns berauben wollt, habt ihr den Weg umsonst gemacht, denn die Steuereintreiber des Tyrannen Menas haben alles genommen, was irgendeinen Wert besaß. Erst vor zwei Wochen waren sie hier und haben uns kaum das Nötigste zum Leben gelassen.“
Wieder wallte der hilflose Zorn über Menas‘ Untaten in Chiron auf, denn er kannte die Frau. Wie oft hatte er als Jüngling bei seinen Streifzügen bei ihr Aufnahme gefunden.
„Beruhige dich nur!“ rief er daher. „Wir sind keine Räuber und auch keine Steuereintreiber. Wir sind aus Menas‘ Kerker entkommen und suchen für ein paar Stunden einen sicheren Unterschlupf.“
Sie zügelten ihre Pferde vor der Frau und sprangen ab.
„Aus Menas‘ Kerker seid ihr entkommen?“ fragte die Frau ungläubig. „Wie sollte das jemandem gelingen? Doch Euer Gesicht kommt mir bekannt vor, Herr. Wer seid Ihr?“
„Ich werde dir beweisen, dass ich die Wahrheit gesagt habe“, antwortete Chiron. „Vielleicht wirst du dann auch erkennen, wer ich bin.“ Er nahm den Umhang ab und zog das Leinentuch von seiner Schulter. Dann drehte er der Frau den Rücken zu. Erschrocken schrie sie auf, als sie die blutigen Striemen sah. Doch dann fiel ihr Blick auf die Rose, die trotz der Wunden deutlich zu sehen war. Mit einem erstickten Aufschluchzen sank sie auf die Knie.
„König Chiron! Herr, seid Ihr es wirklich?“ stammelte sie. „Also haben die Götter mein Flehen doch erhört. Ich wollte nie glauben, dass Ihr tot seid.“
Chiron wandte sich wieder um und zog die Frau vom Boden hoch. „Ja, ich bin es wirklich, gute Elina“, sagte er und in seinen Augen schimmerte es feucht. „Es ist schön zu sehen, dass man
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