Der Gesandte der Götter (German Edition)
nicht ganz vergessen ist. Doch nun fasse dich, Mutter Elina! Wir sind am Ende unsere Kräfte und haben seit gestern nichts gegessen. Und wenn es nur ein wenig Brot ist, das du uns geben kannst, und ein Schlafplatz im Heu, so wollen wir es dir niemals vergessen.“
„Kommt schnell herein, Herr!“ sagte die Alte unter Tränen. „Ihr und Eure Begleiter sollen haben, was Ihr braucht, wenn es auch nicht viel ist, was wir Euch geben können. Seit Menas uns den Sohn nahm und seine Steuereintreiber uns ausplünderten, sind wir arm geworden.“
Sie folgten der Bäuerin ins Haus, und die überglückliche Frau bereitete ihnen in Windeseile ein Mahl. Ausgehungert machten sich die drei darüber her. Stumm und mit gerührtem Lächeln sah die Frau ihnen zu. Immer wieder betrachtete sie Chiron, und Staunen und Mitleid zeigten sich in ihrem runzligen Gesicht. Doch sie ließ sie ruhig essen und stellte keine Fragen.
Als Chirons erster Hunger gestillt war, fragte er die Bäuerin: „Was war das mit deinem Sohn? Was hat Menas mit ihm gemacht?“
„Ach, Herr“, antwortete die Alte, „Menas hat ihn unter die Soldaten gesteckt, die die Steuereintreiber begleiten müssen. Und dieser Dämon, dieser Magier, den die Götter verfluchen mögen, hat das sanfte Herz unseres Sohnes versteinert, dass er all das Unrecht mit kaltem Blick ertragen kann. Er hat sogar ungerührt zugesehen, als man uns unser Hab und Gut nahm. Es wäre besser gewesen, Menas hätte meinen Jungen getötet, als dass er so geworden ist. Wie viele junge Männer hat dieser Unhold verderben lassen! Doch, Herr, was hat er nur in all den Jahren mit Euch getan? Gewiss hat Menas an Euch noch viel mehr gesündigt. Wenn ich nur sehe, was die Peitsche Euch antat, was muss er Euch da sonst noch alles zugefügt haben!“
„Später, Mutter Elina, später!“ vertröstete Chiron die aufgebrachte Frau. „Wir sind mit dem letzten Rest unserer Kraft hierhergelangt und müssen zuerst etwas schlafen. Glaubst du, dass wir hier eine Weile sicher sind?“
„Ja, Herr! Hier seid Ihr sicher“, antwortete die Alte. „Kaum jemand kommt einmal hierher, wie Ihr Euch wohl erinnern werdet. Und Menas‘ Schergen waren ja erst vor kurzem bei uns und werden daher so schnell nicht wiederkommen. Kommt nun, ich werde Euch die Betten richten. Ihr und der andere Herr könnt in unseren Betten schlafen, und für die junge Herrin richte ich das Zimmer unseres Sohnes. – Meine Güte! Das arme Lämmchen!“ rief sie, als sie sah, dass Loara am Tisch eingeschlafen war. „Kommt! Tragt das bedauernswerte Kind in die Kammer.“
Leoris hob Loara auf und folgte dann mit Chiron der Alten, die die Tür einer kleinen Stube öffnete. Leoris legte seine schlafende Schwester auf das sauber bezogene Bett.
Dann führte Elina die beiden Männer zu ihrem Schlafzimmer, in dem zwei wuchtige, selbstgezimmerte Betten standen. Hier schlief sie mit ihrem Mann Rallin, der zurzeit draußen auf dem Feld arbeitete. Er würde wohl bald zum Mittagsmahl heimkehren. Chiron und Leoris wollten abwehren, als die alte Bäuerin frische Tücher über die Betten deckte.
„Wir werden im Heu schlafen“, sagte Chiron. „Das ist besser als manches, was wir beide in der letzten Zeit als Bett hatten. Wir wollen euch nicht aus eurem Schlafzimmer vertreiben.“
Aber Elina wies dieses Ansinnen entrüstet ab. Nie würde sie gestatten, dass ihr Herr und König in der Scheune schliefe, schon gar nicht nach all seinen Entbehrungen und verwundet wie er war! Sie wollte auch sofort Chirons Rücken behandeln, aber er lehnte ab.
„Lass mich erst eine Weile schlafen, Mutter Elina“, sagte er. „Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Später werde ich dir jedoch für ein wenig Pflege dankbar sein.“
Elina hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als Chiron und Leoris sich auf die Betten warfen. Sekunden später schliefen sie wie Tote.
Als sie erwachten, war es bereits dunkel. Ein Geräusch hatte sie geweckt. Der alte Rallin stand mit einem Kerzenleuchter im Zimmer.
„Möge der Segen der Götter allzeit auf Euch ruhen, Herr!“ sagte er bewegt. „Dass Ihr wiedergekehrt seid, erfüllt mein altes Herz mit Hoffnung. Doch nun kommt! In der Scheune stehen zwei Zuber mit heißem Wasser. Elina dachte, dass Euch ein heißes Bad wohl gut tun würde. Wenn Ihr Euch erfrischt habt, steht das Abendbrot bereit. Die Prinzessin ist bereits munter und hat auch schon ein Bad
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