Der Gesandte der Götter (German Edition)
auf die Rast. Vermutlich würde Rotron ihnen dabei ein gutes Mahl servieren.
Tatsächlich erreichten sie nach der angegebenen Zeit den Weg und flogen nun wieder im Galopp durch den Wald. Als es anfing zu dunkeln, lichtete sich der Wald, und auf einmal sahen sie die Ebene vor sich liegen. In der Nähe des Waldes war sie noch mit Gras und vereinzelten Büschen bewachsen, doch in weiterer Entfernung würde sie dann in einen ausgetrockneten, von Geröllbrocken übersäten Landstrich übergehen.
Am Waldrand hielt Rotron an. „Lasst uns hier lagern“, sagte er. „Wir können nicht in der Dunkelheit weiterreiten, da der unebene Boden das nicht zulässt. Außerdem sind wir Xoras dicht auf den Fersen, und ich möchte nicht, dass er etwas von unserer Anwesenheit spürt. Morgen werden wir ihm noch ein Stück folgen und dann einen Bogen schlagen, der uns ihm vorausbringt. Wenn das geschehen ist, können wir ohne Verzögerung und Umwege direkt zu seinem Versteck reiten.“
Wie schon am Abend vorher warf er das Päckchen mit dem Zelt ins Gras, und bald schon saßen die drei bei einem reichhaltigen Mahl, das aus dem Nichts erschienen war.
Chiron und Leoris ließen sich nicht lange bitten und langten herzhaft zu. Als sich die beiden nach dem Essen gemütlich auf den Kissen ausstrecken, konnte Leoris seine Neugier nicht länger beherrschen.
„Wer seid Ihr eigentlich, Rotron?“ fragte er. „Oder ist das ein Geheimnis, das Ihr uns nicht mitteilen könnt?“
„Mein lieber Leoris, du bist ein sehr wissbegieriger junger Mann!“ lächelte Rotron. „Genügt es dir nicht zu wissen, dass ich die Macht habe, euch zu helfen? Warum willst du tiefer in Dinge eindringen, die die Götter den Menschen verborgen haben? Lass es dir genügen, dass sie über euch wachen und dass nichts geschieht, von dem sie nicht wissen. Wer auf die Götter vertraut und wer ihnen würdig erscheint, der kann sich ihres Beistands erfreuen. Chiron hat die Prüfungen bestanden, die die Götter ihm auferlegt hatten – darum bin ich hier. Wisse nur, dass ich von anderer Art bin als Xoras, der ein Mensch ist wie ihr, nur dass er sich den bösen Mächten verschrieben hat und ihnen dient. Und nun frag nicht weiter, sondern schlaf! Beim ersten Morgenrot geht unser Ritt weiter und wir werden nicht rasten, ehe nicht die Sonne ihren Lauf vollendet hat.“
Leoris war zwar enttäuscht, dass er nicht mehr aus Rotron hatte heraus bringen können, aber er musste sich zufrieden geben. Kurze Zeit später lagen er und Chiron in tiefem Schlaf. Rotron jedoch trat vor das Zelt – und plötzlich war er verschwunden!
*****
Loara fror. Die dünne Decke, die Xoras ihr gegeben hatte, schützte nur ungenügend vor der eisigen Nachtkälte, die über der Wüste lag. Obwohl der Magier sich bis jetzt kaum um sie gekümmert hatte, war ihr Herz mit Angst und Verzweiflung erfüllt, denn sie fürchtete sich vor dem, was er mit ihr vorhaben mochte.
Er hatte sie nicht geschont und nur gerastet, wenn ihre Pferde nicht mehr weiterkonnten. Obwohl sie todmüde und ihre Glieder von den Strapazen wie zerschlagen waren, konnte sie keinen Schlaf finden. Sicher – man würde ihr Verschwinden bemerkt haben! Aber würde sich Chiron auch denken können, was mit ihr geschehen war? Sie hoffte inständig, er habe Rotron zur Hilfe gerufen. Aber nun waren sie bereits zwei Tage unterwegs, ohne dass etwas zu ihrer Rettung geschehen war. Zweifel nagten an ihrer Seele und ihre Phantasie gaukelte ihr die schrecklichsten Dinge vor, die Xoras mit ihr anstellen würde.
Als sie ihn einmal gefragt hatte, was er mit ihr vorhabe, hatte er ihr mit grausamem Lächeln erklärt, die Mächte, denen er diene, seien stets an hübschen Opfern interessiert.
Schon in der letzten Nacht hatte sie versucht zu fliehen, aber zu ihrem Entsetzen hatte sie feststellen müssen, dass sie nicht in der Lage war, sich weiter als zehn Schritte von Xoras zu entfernen. Auch in dieser Nacht hatte sie es vergeblich versucht und ihre Hoffnung auf Rettung schmolz immer weiter dahin. Immer wieder stiegen heiße Tränen in ihr hoch, wenn sie daran dachte, dass sie Chiron vielleicht nie mehr wiedersehen würde. Doch sie kämpfte die Tränen tapfer nieder. Xoras sollte nicht merken, wie verzweifelt sie war, und sich an ihrem Schmerz weiden. Wie schon so oft in diesen zwei schrecklichen Tagen wünschte sie sich, wie Chiron Rotron zu Hilfe rufen zu können. Aber sie hatte nicht gewagt, es zu versuchen, um
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