Der Gesandte der Götter (German Edition)
Flüssigkeit heiß oder kalt war. Ebenso wenig konnte er herausfinden, wonach sie schmeckte. Doch in seinem Magen breitete sich eine warme Welle aus, die langsam durch seinen ganzen Körper flutete, und er hatte auf einmal das Gefühl, als sei er nach einem tiefen Schlaf erfrischt aufgewacht. Auch das Hungergefühl war verschwunden.
Er gab die Flasche an Leoris weiter. Dieser schien sehr durstig zu sein, denn er setzte sie an und trank in langen Zügen.
„Halt! Halt!“ rief Rotron und nahm ihm die Flasche fort. „Das ist kein Wasser! Wenn du so viel davon trinkst, wirst du mir zu übermütig. Außerdem werden wir noch etwas davon brauchen, denn der Weg ist noch weit.“
Jetzt schien auch Leoris die Wirkung des Tranks zu spüren, denn auf seinem Gesicht zeigte sich ein verwunderter Ausdruck. Mit einem Satz war er auf den Beinen und fragte:
„Wenn wir es so eilig haben, worauf warten wir dann noch? Lasst uns endlich weiterreiten!“
„Da, es geht schon los!“ lachte Rotron. „Schon fängt er an, vor Ungeduld zu zappeln. Keine Sorge, wir werden sofort wieder auf den Weg machen. Doch zuerst brauchen auch die Pferde eine kleine Stärkung.“
Er griff nochmals in die Satteltasche und holte drei kleine, runde Gebäckstücke heraus, die er den Pferden zu fressen gab. „So, jetzt kann es weitergehen“, meinte er und bestieg seinen Rapphengst. Auch Chiron und Leoris saßen wieder auf, und schon jagten sie weiter.
Bisher hatte Rotron sie stetig nach Südosten geführt und auch jetzt behielt er diese Richtung bei. Sie waren querfeldein geritten, ohne sich um Straßen oder Wege zu kümmern, und sie hatten auch keine der Ortschaften durchritten, an denen sie vorbeigekommen waren, sondern hatten sie im Bogen umgangen.
Chiron kannte sein Land gut und wusste, dass sie bald in ein ausgedehntes Waldgebiet – den Bärenwald – kommen würden. Je nachdem, in welcher Richtung man ritt, brauchte man mehrere Tage, um den Wald zu durchqueren.
Wenn dort jemand die Richtung verlor, konnte es sein, dass er nie wieder aus dem Wald herausfand. Es gab zwar einen Weg hindurch, aber hinter dem Wald begann eine karge, steinige Ebene, die sich bis zu den schroff aufragenden Wänden des Torion hinzog, der die Grenze von Varannia bildete. Nur Glücksritter und Abenteurer durchquerten das öde Land, denn es hieß, dass in den Schluchten des Torion viele edle Steine zu finden seien. Doch viele hatten ihr Verlangen danach schon mit dem Tode bezahlt und waren nie zurückgekehrt.
Als sein Vater noch lebte, hatte Chiron einmal die Abenteuerlust gepackt und er hatte sich mit einigen Gefährten zum Fuß des Torion aufgemacht. Zwar hatten sie einige schöne Edelsteine gefunden, aber dann hatten sie sich in der endlosen, gleichförmigen Ebene verirrt und nur noch mit letzter Kraft den rettenden Waldrand erreicht, ehe sie verschmachtet waren.
Als Chiron nun merkte, wohin Rotron sie führte, fragte er sorgenvoll: „Xoras wird doch nicht mit Loara die Ebene durchqueren wollen? Diesen Strapazen wäre sie nicht gewachsen. Oder ist sein Versteck im Bärenwald?“
„Nein, nicht im Bärenwald“, antwortete Rotron. „Das Tal liegt am Fuß des Torion und Xoras wird daher mit Loara die Ebene überqueren müssen. Wir haben leider keine Möglichkeit, ihr das zu ersparen. Du solltest dich aber noch nicht zu sehr sorgen, denn Xoras will Loara heil in sein Versteck bringen, um sich dann in Ruhe mit ihr beschäftigen zu können. Er wird daher dafür sorgen, dass ihr nichts geschieht und sie bei Kräften bleibt.“
Doch Chiron war keineswegs beruhigt. Er wusste genau, dass selbst jetzt im Herbst die Temperaturen auf der sonnendurchglühten Ebene unerträglich waren und dass dazu nun nachts schon empfindliche Kälte herrschen würde. Er war nicht sicher, dass Xoras Loara nicht doch diesen Dingen ungeschützt aussetzen wollte, um sie zu ängstigen und zu quälen.
Arme Loara! Welche Furcht musste sie haben! Er hoffte, dass sie sich denken würde, dass er Rotron zu Hilfe gerufen hatte, und somit nicht völlig verzweifelte.
Doch je mehr Zeit verstriche, desto größer würde ihre Angst werden. Und wer konnte wissen, ob Xoras ihr nicht doch schon auf dem Weg zu seinem Schlupfwinkel etwas antun würde?
Mittlerweile war es Nacht geworden und sie waren schon geraume Zeit durch die Dunkelheit geritten. Die Wirkung von Rotrons magischem Trank begann nachzulassen und Chiron und Leoris spürten nun, dass ihre Kräfte fast
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