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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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das Geringste an ihrem Schicksal zu ändern vermochten. Ich traf mich mit diesen Gruppen, sprach offen mit ihnen, legte ihnen unsere Gründe für das Oslo-Abkommen dar, erklärte ihnen, dass wir nach vielen Jahren opferreicher Kämpfe einsehen mussten, militärisch gegen Israel nichts ausrichten zu können,
hielt ihnen vor Augen, dass wir mit Gewaltaktionen selbst unsere arabischen Nachbarn verärgern würden. Wer würde uns schwere Waffen verkaufen?, fragte ich sie, und wo würden wir diese Waffen in Gaza lagern? Unsere einzige Chance bestehe darin, einen Frieden durch Verhandlungen anzustreben; im Übrigen könne uns nur die Sympathie der Welt gegen Israel helfen.
    Es war nicht leicht, sie zu überzeugen. Ich hielt Vorträge, diskutierte, ging sogar mit ihnen hinaus, wenn geschossen wurde, um ihnen zu beweisen, dass ich nicht aus Feigheit in dieser Art mit ihnen redete, und gewann mit der Zeit ihr Vertrauen. Irgendwann erwarteten uns die Al-Aksa-Brigaden bei Wahlkampfveranstaltungen schon am Ortseingang, bereiteten uns einen freundlichen Empfang und begleiteten uns bis zu dem Saal, in dem Abbas sprechen sollte – alle bewaffnet, aber keiner feindselig.
    Zu unserer großen Erleichterung ging Abbas aus der Wahl vom 9. Januar 2005 als Sieger hervor. Ich fuhr an diesem Tag nach Ramallah, um seinen Erfolg mit ihm zu feiern. »Weißt du«, sagte mir ein Freund, »im Grunde war es deine Zunge, die Abu Mazen den Sieg beschert hat. Wenn du nicht mehr redest, wer soll dann die Straße zügeln?« Abbas muss ähnliche Überlegungen angestellt haben, jedenfalls bestätigte er mich anderntags als Fatah-Vorsitzender von Gaza. Ich wusste, was das bedeutete. In Deutschland hatte man mich die »Stimme Palästinas« genannt, nun wollte ich die Stimme der Fatah in Gaza werden und meine ganze Kraft daransetzen, durch den Aufbau neuer, stabiler Strukturen einen Zerfall der Partei dort zu verhindern.
    Offen gesagt: Unsere Organisationen im Gazastreifen befanden sich in einer erbärmliche Verfassung. Es gab kein ordentliches Parteileben mehr, es wurden keine Sitzungen mehr abgehalten, in manchen Orten redete man nicht einmal mehr miteinander, und wer seinen Mitgliedsbeitrag schuldig blieb,
der hatte nichts zu befürchten: Es war üblich, dass die Beiträge der Säumigen aus der Parteikasse der Fatah bezahlt wurden. Die Sitten waren verroht – kein Wunder. Diese Leute waren jahrelang ohne Führung gewesen, mittlerweile herrschte das Gesetz des Dschungels, die starke Hand Arafats fehlte an allen Ecken und Enden. Oder hatte Arafat diese Zustände geduldet, vielleicht sogar verschuldet?
    Als Gefangener der Israelis am persönlichen Eingreifen gehindert, hatte er sie zwangsläufig dulden müssen. Er telefonierte während dieser drei Jahre zwar regelmäßig mit den Verantwortlichen, doch Arafats Machtausübung beruhte auf einem System physischer Präsenz, und als Abwesender war sein Einfluss auf Gaza gering. Das Chaos dort war deshalb viel größer als im Westjordanland, und aus diesem Grund beschlossen wir, mit den innerparteilichen Wahlen in Gaza zu beginnen. Unser Ziel waren neue, durch Wahlen legitimierte Vorstände im ganzen Gazastreifen. Der Widerstand, dem ich begegnete, war allerdings enorm.
    Meine Parteifreunde in Rafah zum Beispiel, unter denen ich als Erstes für diese Wahlen werben wollte, belehrten mich in einem Fax darüber, dass ich nur über ihre Leichen bei ihnen auftreten könnte. Ich las die Drohung, griff zum Hörer, rief den Sekretär der Fatah in Rafah an und fragte ihn, worum es gehe. »Ihr habt uns alles Mögliche versprochen, aber nichts davon gehalten«, schimpfte er. »Du darfst hier erst reden, wenn alle diese Versprechen erfüllt sind.« – »Aber ich werde morgen bei euch sein, dann können wir darüber sprechen«, schlug ich vor. »Nein«, sagte er, »wir wollen, dass ihr eure Zusagen vorher einhaltet.« – »Richte dich darauf ein, dass ich morgen komme«, entgegnete ich ihm und wies Abu Arab an, dafür zu sorgen, dass uns keine böse Überraschung erwartete.
    Inzwischen hatte ich auch in Rafah zahlreiche Freunde gewonnen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil ich nicht der übliche lautstarke, heißblütige Fatah-Funktionär war. Als wir gegen
11 Uhr vormittags in Rafah eintrafen, wurden wir von vierhundert Leuten erwartet, die alle auf meiner Seite standen, Waffen trugen und als Erstes wissen wollten, wer mich bedroht hatte … Die zwei, die mir das Fax geschickt hatten, waren plötzlich kleinlaut – ein

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