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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Zelt
    Angesichts des Todes neigt man zu irrationalen Reaktionen, und mir kam es so vor, als bereite Chirac seinem Freund Arafat ein letztes Vergnügen, indem er ihn wie einen Staatsgast verabschiedete. Chirac hatte nämlich Anweisung gegeben, den Toten auf dem Militärflughafen von Paris wie ein Staatsoberhaupt mit dem größten zeremoniellen Aufwand zu ehren, und ich stand dabei und freute mich für ihn, denn Arafat hatte den militärischen Pomp der Staatsbesuche immer geliebt. Chirac ging in seiner Noblesse aber noch weiter und stellte seine eigene Maschine zur Verfügung. Der kranke Arafat war mit einer französischen Militärmaschine nach Paris geflogen, der tote Arafat trat den Rückweg von Paris nach Kairo in der Maschine des französischen Staatspräsidenten an. Auf Wunsch des Zentralkomitees begleitete ich den Leichnam.
    Mir war nicht nach Reden zumute. Mich beschäftigte, wie es jetzt, nach Arafats Tod, weitergehen sollte. War meine Aufgabe in Deutschland nicht erfüllt? Die Frage, wohin ich gehöre, hatte sich mir ja bereits zweimal gestellt, 1967 und 1994, und beide Male war Deutschland die Antwort gewesen. An Bord des Flugzeugs, das den toten Arafat seiner verwüsteten Heimat entgegentrug, stellte sie sich mir erneut, und diesmal lautete die Antwort Palästina.
    Die Entscheidung fiel mir insofern leicht, als ich nun in Palästina zweifellos mehr als in Deutschland ausrichten konnte. In Palästina erwartete uns der vollständige Neuaufbau eines geschundenen Landes. Ich hielt es für meine Aufgabe, Arafats
Lebenswerk an der Seite von Mahmud Abbas fortzusetzen, in dessen Händen nun die Zukunft Palästinas lag. Was hingegen meine Familie anging …
    Ein normales Familienleben hatten wir nie geführt. Die alltägliche Sorge um die Kinder hatte ich durchgehend Benita überlassen müssen. Kurze und auch lange Phasen der Abwesenheit kannte sie von mir seit unserer Hochzeit. Bevor wir die Ehe eingingen, hatten wir darüber gesprochen und eine Art Abkommen geschlossen: zusammenzubleiben, egal, wo ich gebraucht würde, egal, welche Strapazen wir uns dadurch aufbürden würden. Mittlerweile waren die Kinder groß, arbeiteten, führten ihr eigenes Leben, und vielleicht würde sich die Lage in Gaza in absehbarer Zeit so weit entspannen, dass Benita lange Aufenthalte im Haus meiner Familie einlegen könnte. Solange das nicht der Fall wäre, würde ich von Zeit zu Zeit nach Deutschland kommen. Bei meinem einsamen Entschluss durfte ich jedenfalls davon ausgehen, dass meine Familie ihm zustimmen würde. Was auch der Fall war. Vor allem Baschar bestärkte mich in meiner Absicht.
    Die offizielle Abschiedsfeier für Arafat fand in einem Zelt auf dem Gelände des Militärflughafens von Kairo statt. Abertausende von Menschen hatten sich eingefunden, dazu ein Strom von Ministern, Präsidenten und Königen, deren Beileidsbekundungen wir – Abbas, Kadumi, die anderen und auch ich – Stunde um Stunde entgegennahmen. Zur Mittagszeit wurde Arafats Leichnam für den Weiterflug nach Ramallah in eine ägyptische Maschine verladen. Als ich den Ansturm auf diese Maschine sah, verließ mich die Lust, mitzufliegen, und ich disponierte um. »Nach Gaza« sagte ich einem Taxifahrer und streckte mich hinten in seinem Wagen aus – es war die Pullmanversion eines alten Mercedestaxis.
    Im Sinai lebte ich auf. Wie wunderschön, aus dem fahrenden Auto heraus diese Landschaft aus strahlendem Gold vorübergleiten zu sehen! Ich erinnerte mich an die Monate in El
Arish nach unserer Flucht aus Gaza – damals hatte ich alle Warnungen vor Tretminen in den Wind geschlagen und war mit meinem Freund losgelaufen, hinaus aus der Stadt, hinein in die Wüste. Damals waren die Straßen noch Pisten, und das Land hatte einen noch wilderen Eindruck auf mich gemacht.
    Zum ersten Mal erlebte ich den Sinai frei, nicht von Israelis besetzt, und erklärte Sadat im Nachhinein zum Genie. Wie alle hatte ich seinen Separatfrieden mit Israel in den 70er-Jahren verurteilt, doch als ich jetzt durch den ägyptischen Sinai fuhr – kein israelischer Kontrollpunkt, kein israelischer Panzer weit und breit –, leistete ich Sadat im Stillen Abbitte. Hätte er seine Chance nicht genutzt, hätten Millionen Israelis dieses Land mit ihren Siedlungen und Plantagen entzaubert. Zu einem späteren Zeitpunkt hätte Sadat den Sinai ohne Krieg nie zurückbekommen.
    In El Arish stieg ich in einem Hotel am Strand ab und stürzte mich ins Meer. Ich war gierig aufs Schwimmen, und das

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