Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Blick aus dem Fenster hatte sie über das Kräfteverhältnis belehrt. Eine solche Demonstration der Stärke gehört sonst nicht zu meinen Mitteln, aber unter diesen Umständen hatte sie die gewünschte Wirkung. »So«, sagte ich, »wir haben hier heute eine Veranstaltung, zu der fünftausend Menschen erwartet werden. Und ihr beide setzt euch neben mich aufs Podium, einer links und einer rechts von mir. Damit jeder sieht: Wir sind uns einig. Es gibt keine Flügelkämpfe innerhalb der Fatah. Wir dulden keine Alleingänge.« Sie nickten betreten. Meinem Vortrag stand nichts mehr im Wege.
Ein weiteres Problem bereitete mir mehr Sorgen: Ich stellte fest, dass mancher mir mein Leben in Deutschland als einen bequemen Ausweg vorwarf, gewissermaßen als Feigheit vor dem Feind, und sich Einmischung »von außen« verbat. Natürlich konnte ich mich auf Arafats Wunsch berufen, die Interessen Palästinas in Deutschland zu vertreten, doch änderte das wenig am Widerwillen der etablierten Zirkel und Seilschaften gegen jemanden, den sie als Außenseiter und Störenfried empfanden – es ist ja immer schwer, in Machtverhältnisse einzugreifen, die nicht auf regulären Strukturen beruhen, sondern sich sozusagen konspirativ gebildet haben. Dennoch gelang es mir bis 2007, die innerparteilichen Wahlen im Gazastreifen zu 90 Prozent durchzuführen, und die Reorganisation der Partei hätte sicherlich zu einem Neuanfang geführt, wäre nicht unterdessen eine wahrhaft tragische Entwicklung eingetreten: Der Gegensatz zwischen der Fatah und der Hamas nahm mit der Zeit Züge eines Bürgerkriegs an, den wir unmöglich gewinnen konnten.
Die Politik der Hamas war von Anfang an auf Obstruktion hinausgelaufen. Bereits die Präsidentschaftswahlen von 1996
hatte sie boykottiert. Schon damals bereitete sie sich auf eine militärische Auseinandersetzung mit uns vor, indem sich ihre Mitglieder mit Waffen auf dem Schwarzmarkt eindeckten, der von israelischen Waffenhändlern beliefert wurde. Schon 1994 konnte man nachts junge Hamas-Mitglieder in Gruppen von fünf oder zehn durch die Straßen von Gaza joggen sehen – das war Teil ihrer militärischen Ausbildung, so lernten sie, sich blind in der Stadt zurechtzufinden. Und nicht nur militärisch war die Hamas uns überlegen. Bereits 1987 hatte sie damit begonnen, Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten zu bauen, alles Einrichtungen, die unter dem wohlwollenden Blick der Israelis entstanden waren, alles Wohltaten, mit denen wir nicht aufwarten konnten, weil Fatah-Mitglieder in Gaza bis 1994 allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft umgehend verhaftet worden wären. Die Hamas besaß ein Vorsprung von sieben Jahren, und die Spenden, die sie aus aller Welt erhielt, liefen über die Konten europäischer und amerikanischer Banken.
Während der Zweiten Intifada war die Hamas der Hauptunruhestifter gewesen und die Fatah der Prügelknabe. Immer, wenn die Hamas gegen Israel zuschlug, fasste die israelische Armee die Fatah ins Auge und führte ihre Schläge gegen die Autonomiebehörde. Nach Arafats Tod gingen wir also geschwächt in die Auseinandersetzung mit der Hamas. Und Abu Mazen weigerte sich, geschmuggelte Waffen auf dem Schwarzmarkt zu kaufen; ich bin kein Bandenchef, sagte er – entweder, wir bekommen unsere Waffen offiziell von den Ägyptern, den Jordaniern oder den Amerikanern, oder wir müssen mit den vorhandenen auskommen. Er hoffte natürlich, eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der Hamas vermeiden zu können. Die Fatah war jedenfalls nicht in der Lage, der Hamas im Ernstfall Widerstand zu leisten. Und dann zog Scharon die israelische Armee aus dem Gazastreifen ab.
Scharons Schritt kam für uns überraschend, er war nicht mit Abbas abgesprochen. Am 18. August 2005 begann der
Rückzug der Israelis, verbunden mit einer Auflösung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen, und alle Welt glaubte an eine Geste des Entgegenkommens gegenüber den Palästinensern, als wäre Scharon plötzlich zu besserer Einsicht gelangt. Das Gegenteil war der Fall. Der israelische Geheimdienst wusste, wie schlecht die Fatah organisiert war, wie abträglich sich die Korruptionsfälle auf das Image der Fatah auswirkten und auch, dass die Hamas inzwischen stark genug war, uns größten Ärger zu bereiten. Tatsächlich schlug mit dem Abzug der Israelis die Stunde der Hamas. Jetzt konnte sie ungehindert ihre militärische Überlegenheit ausspielen und besetzte umgehend die verlassenen Bunker der israelischen Armee. Ich bin
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