Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
hätten gereicht, meine Familie weitgehend auszulöschen. Sinnlos war diese Demonstration der Stärke dennoch nicht: Für kurze Zeit hatte sie abschreckende Wirkung.
Auf die Kommunalwahlen sollten im Januar 2006 die Parlamentswahlen folgen. Es fanden Gespräche mit der Hamas statt, in die sich die Ägypter vermittelnd einschalteten, und diesmal erklärte sich die Hamas zur Teilnahme bereit. Ihre Zusage war allerdings rein taktisch begründet – bei den Präsidentschaftswahlen vom Januar 2005 wäre ihr Kandidat chancenlos gewesen, von der bevorstehenden Parlamentswahl hingegen versprach sie sich einen leichten Sieg. Ich war entschieden
gegen diese Wahlen und erläuterte meinen Standpunkt in einem handschriftlichen Brief an Präsident Abbas: 1. Angesichts der Zwistigkeiten innerhalb der Fatah seien unsere Erfolgschancen gleich null – bevor wir uns zur Wahl stellten, müssten wir unseren eigenen Laden in Ordnung bringen. Deshalb empfahl ich ihm 2., die Parlamentswahlen zu verschieben, oder, sollte ein Aufschub unmöglich sein, der Hamas vorher wenigstens die Bestätigung aller Abmachungen, die wir mit Israel und anderen Ländern getroffen hatten, abzufordern, sodass, würde Hamas die Wahl gewinnen, die Kontinuität der palästinensischen Außenpolitik einigermaßen gesichert wäre. Meine Überlegung war: Würde Hamas diese Abkommen tatsächlich bestätigen, schwänden ihre Siegchancen, denn ihre Popularität beruhte ja gerade auf ihrer rigorosen Ablehnung des Oslo-Abkommens.
Das Problem war nur, dass die Amerikaner, von den Europäern unterstützt, auf diese Wahl zum vorgesehenen Zeitpunkt drängten. Sie passte in das Konzept von George W. Bush, die Demokratie im Nahen Osten mit der Brechstange einzuführen. Abbas hätte nichts gegen eine Verschiebung gehabt, doch der Druck der Amerikaner bewog ihn, beim festgelegten Termin zu bleiben – er wollte vor der Weltöffentlichkeit nicht als schlechter Demokrat dastehen.
Die Wahl vom 26. Januar 2006 offenbarte das ganze Ausmaß des Chaos. Allerorten kandidierten unsere Leute eigenmächtig, ohne Absprache mit der Führung, ohne aufgestellt zu sein. In einem Fall traten sogar vier Fatah-Vertreter gegen einen der Hamas an, und das Resultat spiegelte die Verhältnisse: Die Hamas errang einen überwältigenden Sieg. Unsere Niederlage war vernichtend – und wurde dadurch besiegelt, dass etliche von uns eine Koalition mit der Hamas ablehnten, zu der ich geraten hatte. Meiner Ansicht nach hätten wir die Hamas von innen bekämpfen müssen; Kompromisslosigkeit bedeutete in diesem Fall lediglich, der Hamas den Gazastreifen auf einem
Silbertablett zu servieren. Mein Vorschlag war allerdings höchst unpopulär, denn die Fatah hatte sich daran gewöhnt, als stärkste Fraktion innerhalb der PLO auch die Regierung zu stellen, und viele empfanden es als Zumutung, einer Hamas-Regierung als Juniorpartner beizutreten. Jetzt waren wir doppelt bestraft – bestraft durch den völligen Machtverlust, bestraft aber auch durch den Beschluss der Geberländer, die Finanzhilfe für Gaza einzustellen (was den Wahlsieger kaum berührte, der sein Geld seit jeher aus anderen Quellen bezog und sich im übrigen vieles durch Schmuggel beschaffte). Die Hamas bildete jedenfalls die Regierung allein, und kaum hatten ihre Minister den Amtseid auf den Koran abgelegt, gingen sie daran, alle Behörden von Fatah-Mitgliedern zu säubern und unsere Leute durch ihre eigenen zu ersetzen.
Fortan schaukelte sich die Gewalt hoch, bis wir uns ohne Übertreibung in einer Art Kriegszustand befanden. Ausländer wurden entführt – ein absolutes Novum in unserer Geschichte –, ein regelrechter Partisanenkrieg gegen die Polizeistationen und Stützpunkte der Fatah entbrannte, auch mein Haus wurde mehrfach beschossen. In einer der schlimmsten Nächte meines Lebens hielten die Kämpfe vor meinem Haus bis morgens gegen 3 Uhr an. Die Kämpfer der Hamas rückten an wie eine Armee, Bänder mit der Aufschrift »Al Kasam-Brigade« um die Stirn gebunden, und hätten mein Haus gestürmt, hätten sich meine Sicherheitsleute und Verwandten nicht wahre Feuergefechte mit den Angreifern geliefert – die Salven und Einschläge waren sogar für Benita zu hören, mit der ich in dieser Nacht telefonierte. Ich hatte Verständnis dafür, dass unsere offiziellen Sicherheitskräfte einem Kampf aus dem Weg gingen – alle Organisationen der Fatah waren in dieser Zeit so mürbe und zerrüttet, dass sie gegen die Hamas nichts hätten
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