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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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überzeugt, dass Scharon dieses Szenario vorhergesehen und herbeigewünscht hatte. Jedenfalls stand einem Bürgerkrieg in Gaza nun nichts mehr im Wege.
    Der Ton der Hamas wurde unverhohlen aggressiv. In ihren Publikationen beschuldigte sie uns, Palästina an Israel zu verkaufen, machte gegen das Oslo-Abkommen Stimmung und predigte offen Gewalt – Raketen und Sprengstoff seien die einzige Sprache, die die Israelis verständen. Solche radikalen Ideen trafen den Geschmack all jener, die sich nach klaren Verhältnissen und schnellen Lösungen sehnten, und bald kam es zu den ersten Mordanschlägen auf unsere Sicherheitskräfte. Und unsere Leute schauten zu. Niemand war bereit, seinen Kopf für Dahlan hinzuhalten. Diese Morde wurden – vielleicht sogar mit einer gewissen Schadenfreude – hingenommen, einfach weil unsere Polizei erschöpft, schlecht geführt, schlecht ausgerüstet, kurz: demoralisiert war.
    Eines Tages saß ich mit Besuchern in einem Empfangsraum meines Büros in Gaza, als ich Schüsse hörte. Wie sich zeigte, hatte man unser Haus von außen beschossen. Die Einschusslöcher fanden sich allerdings nicht im Fenster meines Arbeitszimmers, sondern eine Etage höher, dort, wo meine Sekretärin genau über mir ihr Büro hatte. Der Attentäter musste sich
im Stockwerk geirrt haben. Wir hatten beide großes Glück gehabt. Hätte meine Sekretärin an ihrem Platz gesessen, wäre sie tot gewesen. Und bei einem besser informierten Attentäter wäre ich tot gewesen. Der Anschlag war der deutschen Presse eine Meldung wert, auf diese Weise erfuhr auch meine Familie davon.
    Nach den Kommunalwahlen im Mai 2005 nahmen die Spannungen weiter zu. In meinen Wahlkampfreden war ich auf die Attacken der Hamas eingegangen, was unsere Leute bis dahin vermieden hatten. Bei der Wahl brachte die Hamas keinen ihrer Kandidaten durch und warf uns Wahlfälschung vor; dergleichen wäre mit Abbas allerdings nicht zu machen gewesen, und mit mir auch nicht – der Hamas ging es einfach um eine weitere Provokation. Auf der anschließenden Pressekonferenz trat der Hamas-Chef Mahmud Zahar wie ein Feldherr vor der Schlacht auf, als stünde ein großes Blutbad bevor. Innerhalb einer Stunde berief ich eine Gegen-Pressekonferenz ein – in Gaza kann man innerhalb von fünf Minuten leicht an die zweihundert Journalisten zusammentrommeln – und hielt sachlich, aber unmissverständlich dagegen: Die Hamas ziele mit ihrer Politik auf einen Putsch im Gazastreifen ab; es stehe eine Machtergreifung bevor, die auf die Abschaffung der Demokratie hinauslaufe.
    Am nächsten Tag war die Hölle los.
    Im ganzen Gazastreifen tauchten Plakate mit meinem Konterfei auf, in allen Moscheen wurde mein Bild aufgehängt, und immer war da das Gleiche zu lesen: Längst sei ich kein Muslim mehr, mein halbes Leben hätte ich in europäischen Bars verbracht, nicht einmal mein Name sei arabisch – »Frangi, geh zurück ins Land der Franken!« Kurzum, für die Hamas war ich jetzt ein Verräter, der Feind Nr. 1. Meine Anhänger drangen daraufhin in eine Moschee im Zentrum von Deir el Balah ein, holten die Plakate herunter, zerrissen sie und starteten eine Gegenkampagne. Es war das erste Mal, dass
unsere Leute der Hamas die Stirn boten. Endlich begann die Fatah, sich zu wehren.
    Eines Tages geriet ich vor meinem Haus in eine Demonstration junger Leute, ausgerüstet mit Hunderten grüner Fahnen. Ich fuhr mit meinem Jeep langsam durch die Demonstranten hindurch, hielt an, stieg aus und begrüßte sie. »Was macht ihr hier?«, wollte ich wissen. Sie würden demonstrieren, meinte einer schmunzelnd. »Gegen wen?« – »Gegen dich«, sagte er. »Und warum?« Achselzucken. Ich bat sie, ihre Kundgebung das nächste Mal vor meinem Büro abzuhalten, ging ins Haus und rief unseren Sicherheitschef an. Er war nicht da. Ich versuchte, unseren Innenminister zu erreichen. Er war nicht da. Ich konnte anrufen, wen ich wollte, niemand war da. Daraufhin telefonierte ich mit meinen Bruder Abdel Halim, und innerhalb von drei Stunden strömten bei mir fünfhundert bewaffnete Männer zusammen, Freunde der Familie und Verwandte. Ohne dass ein Schuss gefallen wäre, traten die Demonstranten daraufhin den Rückzug an. Militärisch gesehen stand unsere Zusammenkunft übrigens meiner Jordandurchquerung an Dummheit nicht nach, denn alle »Verteidiger« hatten es sich in meinem Diwan im Erdgeschoss bequem gemacht, der obendrein unmittelbar an der Straße lag – eine Rakete oder drei Handgranaten

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