Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
ausrichten können, selbst wenn sie gewollt hätten.
Im November 2006 gab ich einem französischen Fernsehteam ein Interview in meinem Büro, und nachdem die Journalisten
gegangen waren, entdeckte einer meiner Mitarbeiter auf dem Boden einen kleinen, schwarzen Gegenstand. Er sah aus wie ein winziges Mikrofon. Ich steckte ihn ein; mir war sofort klar, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Ansteckmikrofon handelte. Später bat ich meinen Sicherheitschef Abu Arab, unsere Büroräume zu untersuchen, und seine Nachforschungen förderten Abhörgeräte in meinem Schreibtisch, im Konferenzraum, im Arbeitszimmer meines Bürochefs zutage. Ich überlegte. Präsident Abbas war eine Woche zuvor in ein neues Bürohaus umgezogen – möglich, dass unser Nachrichtendienst auch dort fündig würde. Er wurde fündig. Alles war verwanzt.
Wer steckte dahinter? Nicht die Hamas. Hamasmitglieder wären nie unbemerkt in unsere Büroräume eingedrungen. Ich war um eine Illusion ärmer. Ich wusste jetzt, dass nicht einmal die eigenen Leute vor schmutzigen Mitteln zurückschreckten.
Endzeit in Gaza
Die Zeit der Wirren in Gaza lässt sich hier nur skizzieren, eine Begebenheit aber darf in diesem Bild nicht fehlen: Im Sommer 2006 veröffentlichten die palästinensischen Häftlinge in Israel ein Kommuniqué, das sowohl von Hamas-Gefangenen als auch von Fatah-Gefangenen unterzeichnet war. Es war ein Aufruf zur Beendigung des Bürgerkriegs und zur Bildung einer gemeinsamen Regierung. Als Gefangene der Israelis war man einander also nahegekommen, und ich begrüßte dieses Dokument dankbar und erleichtert. Saudi-Arabien warf daraufhin noch einmal sein Gewicht in die Waagschale und lud die führenden Köpfe beider Parteien zu einer Friedenskonferenz nach Mekka – an der ich nicht teilnahm, weil jemand in Gaza bleiben musste, der die Verhandlungen gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigte. In Mekka kam es tatsächlich zu einem Abkommen, an das sich die Hamas nach ihrer Rückkehr jedoch nicht mehr gebunden fühlte.
Wir, die wir im Geist der Fatah aufgewachsen waren, standen dem Phänomen Hamas, offen gesagt, fassungslos gegenüber. Es offenbarte sich in diesen Jahren ein fundamentaler Mentalitätsunterschied, denn für uns galt es als schwerwiegende Sünde, das Blut von Palästinensern zu vergießen – ich hatte die Verteidiger meines Hauses sogar angewiesen, nicht gezielt zurückzuschießen – während für die Hamas die Zugehörigkeit zum eigenen Volk nicht zählte. Was zählte war, wie sich einer kleidete, welchen Grad an Verwestlichung er erkennen ließ, mit anderen Worten: wie gottlos er in ihren Augen war. Schon durch unsere Krawatten zogen wir uns ihren Zorn
zu – ein passender Koranvers fand sich immer, zur Not griffen sie auf den Spruch eines Kalifen zurück –, und nicht einmal Verwandtschaft war ihnen heilig. Eines Tages wurde ein Fatah-Anhänger in seinem Haus von Hamas-Kämpfern belagert. Sein eigener Schwager leitete den Angriff und erschoss ihn ungerührt. Angesichts solcher Untaten standen unsere Leute geradezu unter Schock.
Für mich persönlich erreichten Ärger und Enttäuschung am 23. Dezember 2006 ihren Höhepunkt, als ich einen Bescheid von Abu Mazen in seiner Eigenschaft als Generalkommandant der Fatah erhielt, aus dem hervorging, dass ich abgesetzt sei. Diese Handlung war eigentlich inakzeptabel, weil ihm kein Beschluss des Zentralkomitees vorausgegangen war. Mein gesamter Tätigkeitsbereich wurde auf andere verteilt, und Mohammed Dahlan übernahm den Kernbereich meiner Aufgaben. Ich stand jetzt vor der Wahl, meine Entlassung entweder anzufechten – dann wäre ich in Gegnerschaft zu Präsident Abbas geraten – oder stillschweigend hinzunehmen. Natürlich lag mir nichts ferner, als mein Lebenswerk mit einem Machtkampf innerhalb der Fatah zu krönen. Also unternahm ich nichts und räumte meinen Posten.
Offenbar hatten sich diejenigen durchgesetzt, die meine hartnäckigen Bemühungen um innerparteiliche Reformen als Profilierungssucht, als die Eitelkeit eines Menschen interpretierten, der nach jahrelangem Aufenthalt im Ausland partout den Beweis seiner Überlegenheit erbringen wollte. Doch was auch immer sich hinter den Kulissen abgespielt haben mochte – zum ersten Mal in meinem Leben war ich kaltgestellt und mitten in der Katastrophe zur Untätigkeit gezwungen. Die nächsten fünf Monate erledigte ich nur noch administrative Aufgaben, suchte mal dieses, mal jenes Büro auf, hörte mir die Sorgen
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