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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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der Menschen an und tat mein Bestes, so vielen wie möglich zu helfen. Es waren die schrecklichsten Monate, die ich bis dahin erlebt hatte.

    Warum blieb ich? Warum nahm ich die Angriffe auf mein Haus, warum nahm ich die offenkundigen Intrigen nicht zum Anlass, nach vierundvierzig Jahren aufreibender politischer Arbeit aus der ganzen Sache auszusteigen? In Deutschland besaß ich ein Haus, eine Familie, Freunde. Ich hätte mich jederzeit aus der Gefahrenzone in jenes Land zurückziehen können, das mir zur zweiten Heimat geworden war … Infrage kam diese Möglichkeit für mich nicht. Ich will zu erklären versuchen, warum.
    Der Inhalt meines Lebens ist Palästina. Seit meiner Jugend gab es für mich nur ein Ziel, dem ich alles andere untergeordnet habe: die Gründung eines Palästinenserstaates. Mein ganzes Denken und Handeln ist als Kampf für dieses Ziel zu verstehen, angefangen mit meiner Arbeit im Studentenverein über meinen Einsatz mit der Waffe nach dem Sechstagekrieg und meine Bemühungen, den Palästinensern unter den Deutschen Freunde zu gewinnen bis hin zu dem Versuch, das Werk Arafats mit anderen zusammen in Palästina fortzusetzen. Was mich zu diesem rastlosen Leben antrieb, war die Aussicht, mein Volk eines Tages im Besitz seiner Rechte und seiner Würde zu erleben. Ich habe dafür auf Bequemlichkeit, auf die Befriedigung eines Berufs, auf ein normales Familienleben verzichtet. Aber ich kann mir ein anderes Leben nicht vorstellen. Meine Frau und meine Kinder haben darunter gelitten, und ich hätte in meinem Privatleben nie Frieden gefunden, wenn sie mich nicht verstanden hätten, wenn sie in diesen Kampf nicht einbezogen gewesen wären und an seiner Notwendigkeit gezweifelt hätten.
    Vielleicht unterwerfe ich mich auch den Forderungen und Herausforderungen einer Familientradition, der ich mich nicht zu entziehen vermag. Ich muss das fortführen, was mein Vater begonnen und abgebrochen hat. Was mein leiblicher Bruder Mohammed begonnen und abgebrochen hat. Was meine geistigen Brüder Abu Dschihad und Hayel Abdel-Hamid
begonnen und nicht vollendet haben. Was mein geistiger Vater Yassir Arafat begonnen und nicht vollendet hat. Ich fühle mich diesen Menschen genauso verpflichtet wie ihrem großen Ziel. Sollte ich schaffen, was ihnen zu erreichen nicht vergönnt war, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Sollte ich über diesem Versuch sterben, wäre es ein gutes Leben gewesen. Aber ich würde in Deutschland keine Ruhe finden, solange meine Arbeit in Palästina und für Palästina nicht getan und abgeschlossen ist, solange ich nicht zusammen mit meinem Volk aufatmen kann. Möglich, dass ich dennoch und trotz allem aufgegeben hätte, wenn mich Benita und Muna, ganz besonders aber Baschar nicht wieder und wieder angespornt hätten, durchzuhalten.
    Im Übrigen fühlte ich mich mit vierundsechzig Jahren zu jung, um das Leben eines Rentners zu führen, und ebendies hätte mich in Deutschland erwartet, nachdem ich mich 2005 mit einem großen Fest von der Berliner Bühne verabschiedet und die Generaldelegation Palästina meinem Nachfolger übergeben hatte. Gottlob fand der Zustand erzwungener Untätigkeit im Mai 2007 ein Ende. Nach einem klärenden Gespräch bat mich Abbas, einen letzten Vermittlungsversuch zu unternehmen und die Waffenstillstandsverhandlungen mit der Hamas zu leiten.
    Ich kam seiner Bitte nach, merkte aber rasch, dass der Hamas nicht das Geringste an einer Verständigung lag. Ihre Taktik war einfach, aber effektiv: Wann immer wir auf ihre Angriffe zu sprechen kamen, drehte sie den Spieß um und gab uns die Schuld – stets hatte es sich bei ihren Überfällen bloß um Reaktionen auf Provokationen unsererseits gehandelt. Wir kannten diese Argumentationsstrategie von den Israelis. So führen Menschen eine Verhandlung, die sich keiner Schuld bewusst und ihrer militärischen Überlegenheit absolut sicher sind. Nach ihrem Wahlsieg hätte die Hamas unangefochten regieren können, ohne unsere Leute zu behelligen und ohne
von ihnen behelligt zu werden. Der Umstand, dass sie uns weiterhin verfolgte, ließ nur einen Schluss zu: Ihr wahrer Feind hieß nicht Israel. Ihr wahrer Feind hieß Fatah. Wir brachen die Gespräche ab, ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein.
    Ich informierte Abbas und beschloss, Gaza umgehend zu verlassen. Einen Tag nach dem letzten, ergebnislosen Treffen, am Abend des 14. Mai 2007, ließ ich mich ohne Begleitschutz in einem gewöhnlichen Taxi zum Grenzübergang Erez fahren.

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