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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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und von Algier aus ein afrikanisch-palästinensisches Koordinationsbüro leiten.
    Am Nachmittag des 26. Oktober 1972 traf ich mich also mit dem Vertreter der Fatah in Algier, Abu Khalil. Man hatte
ihm ans Herz gelegt, mir die Arbeit in jeder Weise zu erleichtern  – eine Bitte, derer es sicher nicht bedurft hätte, denn Abu Khalil war ein guter Freund, ich kannte ihn aus Gaza. Mit seinen blaugrünen Augen und seinem buschigen schwarzen Schnäuzer hätte er gut aus einer südlichen Region Deutschlands stammen können. Ich kannte ihn als umgänglichen Menschen, der notfalls hart gegen andere wie gegen sich selbst sein konnte. Im Übrigen war Abu Khalil über meine Gesellschaft genauso froh wie ich über seine, denn bisher hatte er in Algier auf einsamem Posten gestanden.
    Die erste Aufgabe, die uns erwartete, war das Sichten der Post. Abu Khalil war längere Zeit abwesend gewesen, und auf dem Boden seines Büros stapelten sich Berge von Briefen. Nun hatte mir ein Bekannter, der auf Horoskope schwor, in Beirut zum Abschied eine astrologische Zeitschrift in die Hand gedrückt. Ich hielt zwar nichts von Astrologie, begann aber während des Flugs aus Langeweile dennoch darin zu lesen und fand unter meinem Sternzeichen die Eintragung: »In den nächsten Tagen ist äußerste Vorsicht geboten. Unheil droht.« Unfug, sagte ich mir, zerriss das Heft und stopfte es in die Tasche an der Rücklehne des Vordersitzes.
    Unsere Arbeitsräume befanden sich in einer der vornehmsten Villen von Algier, aber dieses Haus im schönsten französischen Kolonialstil war völlig heruntergekommen. Man konnte Abu Khalil nicht gerade als Ästheten bezeichnen; er nutzte dieses Gebäude, wie er eine Baracke genutzt hätte, als reinen Arbeitsplatz. Ein Revolutionär achtet nicht auf Äußerlichkeiten. Das ehemalige Schlafzimmer im ersten Stock hatte er zu seinem Büro erkoren, das Bad nebenan diente einer Hilfskraft als Arbeitszimmer, und dort stapelte sich die Post. Wir gingen in die Hocke und begannen, die Umschläge aufzureißen – er mit dem Rücken zur Wand, ich mit dem Rücken zur geöffneten Zimmertür. Eines der Päckchen enthielt ein Buch. Ich fing an, darin zu blättern, und im selben Augenblick, als mein
Blick auf das Foto eines entsetzlich zugerichteten Briefbombenopfers fiel, hielt Abu Khalil einen prallen Brief in die Höhe und sah mich fragend an. »Abdallah, was meinst du?« Ich werde niemals seine Augen vergessen, diese blaugrünen Augen, mit denen er mich in diesem Moment anschaute. »Eine Briefbombe«, erwiderte ich. Abu Khalil zögerte. »Es steht kein Absender drauf«, sagte er. »Aber das werden die Pässe sein, die mir der PLO-Vertreter in Belgrad schicken will …« Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher, dass er sich irrte. »Schau her«, forderte ich ihn auf und hielt ihm das aufgeschlagene Buch mit dem Foto des Verstümmelten hin. In derselben Sekunde riss er den Umschlag auf.
    Es fühlte sich an, als würde mein Kopf in ein Glutbecken getaucht. Die Explosion schleuderte mich durch die geöffnete Tür ins Nebenzimmer, drei, vier Meter weit. Ich schlug die Augen auf, um zu prüfen, ob ich noch sehen konnte, nahm die eingeschaltete Deckenlampe wahr und verlor das Bewusstsein.
    Im Krankenhaus kam ich zu mir und hörte die Stimme von Abu Khalil. »Wo ist Abdallah?«, keuchte er. »Schaut nach Abdallah.« Ich stand auf, sah ihn im Nachbarbett liegen und fuhr entsetzt zurück. Was hätte ich darum gegeben, wenn mir dieser Anblick erspart geblieben wäre … Sein Gesicht schien nur aus Blut zu bestehen, seine blaugrünen Augen waren verschwunden, von seinen Händen waren nichts als blutrote Klumpen übrig. Er lag da, wie die Leute ihn hereingetragen hatten, reglos, als wäre kein Leben mehr in ihm. Ich konnte nicht mehr. Nicht mehr sprechen, nicht mehr hinschauen. Dann kamen Ärzte und schoben ihn in den Operationssaal.
    Bei mir stellten sie nur leichte Verbrennungen fest. Mit einer Pinzette entfernten sie die Sprengstoffsplitter aus meinem Gesicht, das war alles. Dabei war die Bombe von gewaltiger Sprengkraft gewesen. Als ich Tage später die Villa betrat, watete ich durch ein Meer von Scherben, weil sämtliche Fenster
zersprungen waren. Unerklärlich, dass Abu Khalil nicht sofort tot war, dass ich nicht zumindest schwere Verletzungen davongetragen hatte. Doch Abu Khalil lebte. Sein rechtes Auge war zerstört. Seine Hände waren verstümmelt. Aber ein geringer Teil der Sehkraft seines linken Auges wurde einen Monat später

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