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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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in einer Spezialklinik in Barcelona gerettet.
    Eigentlich hätten wir in der Zeit nach dem Münchener Attentat überhaupt keine größeren Briefe, Büchersendungen und dergleichen öffnen dürfen. (Die Israelis erfanden später Briefbomben in Buchform – man schlug das Buch auf und wurde zerrissen.) Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir hatte gelobt, eine Hochspannungsleitung um jeden »Terroristen« zu legen, sodass er von einem Stromschlag getroffen würde, sobald er sich rührte, und jeder verglühen würde, der in seine Nähe käme. Aber wir waren vertrauensselig, wir waren leichtsinnig. Als ich mit Abu Khalil in Barcelona weilte, zog eine Gruppe von Libyern in mein Hotel ein. Eines Tages erhielten sie ein Päckchen mit dem Absender des Krankenhauses, in dem einer von ihnen lag. Sie ließen das Päckchen von der spanischen Polizei überprüfen, und tatsächlich  – es war eine Briefbombe, stark genug, das ganze Hotel in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die Spanier brachten den Sprengsatz außerhalb der Stadt zur Explosion. Ich hätte wahrscheinlich keinen Verdacht geschöpft, Leichtsinn ist eine typisch palästinensische Eigenschaft. Alle unsere Ermordeten sind im Grunde leichtsinnig – oder gutgläubig – gewesen.
    Kurz nach der Geschichte mit der Briefbombe besuchte mich Kamal Adwan in Algier, ein Mitglied des Zentralkomitees, zuständig für den Widerstand in den besetzten Gebieten. Zusammen mit ihm traf Mahmud el Hamschari ein, der PLO-Vertreter in Paris. Mahmud, ein guter Freund, quartierte sich in meinem Doppelzimmer im Albert-Hotel ein. Nach dem Besuch bei Abu Khalil saßen wir abends im Restaurant beisammen,
und irgendwann wendete sich Kamal Adwan zu mir und sagte: »Ich habe übrigens Krach mit deinem Freund.« Mit Arafat, sollte das heißen.
    Ich erschrak. Krach mit Arafat galt es eigentlich zu vermeiden, und Kamal war der Jüngste im Zentralkomitee. Genüsslich gab er zum Besten, dass er Arafat in einer Sitzung mehrfach widersprochen hatte, woraufhin dieser ihn aufgefordert hatte, den Mund zu halten. »Nicht ich – du hältst den Mund«, hatte Kamal entgegnet. Eine derartige Kühnheit hatte sich noch keiner herausgenommen. Wie Kamal weiter erzählte, hatte Arafat daraufhin eine leere Plastikflasche nach ihm geworfen, die er, Kamal, umgehend auf dem Luftweg zurückgeschickt hatte. Ich vermute, dass dieser Vorfall keine Parallele in der Geschichte des Zentralkomitees hat. Jedenfalls war Arafat souverän genug gewesen, sich noch während der Sitzung bei Kamal Adwan zu entschuldigen.
    Das war typisch für Arafat. Er ließ eine Sache nie lange schmoren, er entschuldigte sich für seine Unbeherrschtheit entweder bei der ersten Gelegenheit oder gar nicht. Allerdings nahmen seine Wutausbrüche gelegentlich spektakuläre Formen an. Ich erinnere mich, dass er 1996 den deutschen Vertreter in Palästina, Martin Kobler, schier in Todesangst versetzte. Es ging um die palästinensischen Pässe, die Deutschland der Autonomiebehörde versprochen hatte. Fünfhundert davon wollte Arafat vorab geliefert bekommen, um sie an Palästinenser in Israel auszugeben, damit sie nach Mekka pilgern konnten. Die Deutschen hatten sicherheitshalber die Israelis vorab gefragt, und die hatten sofort ihr Veto eingelegt. Aus Arafats Plan wurde also nichts, und er ließ seinen Zorn an Martin Kobler aus. Es muss ein ziemlich heftiger Auftritt gewesen sein; Kobler hätte sonst nicht nach Mitternacht noch mit mir telefoniert, um mir zu erzählen, dass er um sein Leben gefürchtet habe. Daraufhin rief ich umgehend Arafat an. »Ich weiß, warum du anrufst«, sagte er. »Lade Kobler morgen
zum Frühstück bei mir ein.« Martin Kobler ließ sich überreden, ging hin, und Arafat verwöhnte ihn.
    Arafat konnte unerbittlich sein, ein energischer Verfechter seiner Ziele. Mit seinem Zorn hielt er selten hinterm Berg. Offen gesagt, ich hätte ihn nicht zum Feind haben mögen. Aber sein Zorn verrauchte meist genauso schnell, wie er aufgestiegen war, und deshalb war mit ihm letztlich doch besser auszukommen als mit anderen. Jedenfalls konnte jeder, der ihn kannte, ähnliche Geschichten wie Kamal Adwan oder Martin Kobler erzählen, was Mahmud el Hamschari einmal zu der treffenden Diagnose veranlasste: Arafat gebe jedem – in welcher Stimmung man ihn auch antreffe – das Gefühl, nur für ihn zu leben. Das Gefühl, ein Teil seiner, Arafats, Person und Lebensgeschichte zu sein. Er reiße die anderen gewissermaßen in das Drama

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