Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
seines Lebens hinein, in dem sich wiederum das größere Drama des palästinensischen Volkes verdichte, zusammenballe … Ich kann das nur bestätigen. Tatsächlich hatte jeder von uns seine eigene Beziehungsgeschichte mit Arafat; keiner allerdings trieb sie so auf die Spitze wie Kamal Adwan.
Von meinen beiden Besuchern kannte ich Mahmud el Hamschari sehr viel besser als Kamal Adwan. Mahmud hatte mich einige Male in Deutschland besucht, und ich hatte ihn in die Frankfurter Fressgasse ausgeführt. In der Nacht wachte ich in unserem Hotelzimmer auf, und als ich ihn neben mir in seinem Bett liegen sah, die weiße Bettdecke über den Kopf gezogen, drängte sich mir das Bild eines Leichnams auf. Beim Frühstück riet ich ihm, einstweilen nicht nach Paris zurückzufahren. »Ich habe Angst, dass sie auch dich erwischen.« Wenige Tage zuvor war unser Freund in Rom ermordet worden; Abu Khalil und ich waren nur knapp demselben Schicksal entgangen. »Warte, bis sie sich beruhigt haben«, sagte ich ihm. Paris sei weder Rom noch Algier, meinte er, und fuhr zurück. Sechs Wochen später erreichte mich die Nachricht,
auf Mahmud el Hamschari sei ein Anschlag verübt worden. Ich fuhr nach Paris.
Er war in einem furchtbaren Zustand. Er lag in seinem Bett wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln. Eines seiner Beine war schwer verletzt, aber zu retten; das andere musste amputiert werden, sollte er eine Überlebenschance haben. Die Explosion der Bombe, die unter seinem Telefontischchen installiert war, hatte ein Loch in den Zementboden gerissen, so groß, dass man in die darunterliegende Wohnung schauen konnte. Wie durch ein Wunder hatte er überlebt, aber sein Lebenswille war erloschen, und er verweigerte seine Einwilligung zu der Amputation. Ich rief Arafat an und bat ihn, Mahmud umzustimmen, aber auch er erreichte bei ihm nichts. Mein Freund starb im Monat darauf. Als mich meine Arbeit später nach Paris führte, habe ich als Erstes mit seiner Frau den Père-Lachaise-Friedhof aufgesucht und einige Verse aus dem Koran über seinem Grab verlesen.
Von meinen Kollegen in den europäischen Hauptstädten lebten jetzt noch zwei, Naim Khader in Brüssel und Said Hamami in London. Abu Khalil übrigens gelang es nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in Barcelona, mithilfe einer Lupe zu lesen, und im Lauf der Zeit erlernte er wieder das Schreiben, indem er den Stift zwischen die Fingerstummel seiner rechten Hand klemmte.
So endete das erste Jahr meiner Ehe mit Benita.
Heimatlos
Benita hatte mich im Dezember 1972, also gut zwei Monate nach meiner Ausweisung, für eine Woche in Barcelona besucht. Anfang 1973 ging ich zurück nach Algier, rief Benita in Deutschland an und sagte: »Komm.« Die junge Familie war nun wieder vereint, aber Algier war damals eine Stadt, die es Europäern schwermachte. Abgesehen davon, dass Benita keinerlei Auslandserfahrung besaß und weder Französisch noch Arabisch sprach, funktionierte das Leben in der algerischen Hauptstadt nach sozialistischen Regeln, das heißt, es herrschte Mangel an allem. Außerdem war es Winter, und Benita musste oft tagelang mit Baschar allein in der kalten Wohnung ausharren, wo Ratten ihre Nachbarn und Kakerlaken ihre Untermieter waren. Sie fand es begreiflicherweise unmöglich, sich dort einzuleben, und hatte Heimweh. Als Abu Khalil nach seiner Genesung im Februar 1973 wieder auf seinen Posten zurückkehrte, siedelten wir deshalb nach Beirut über und mieteten uns ein Apartment im vierten Stock mit Blick aufs Meer. Das war nun ein ganz anderes Leben, und Benita war begeistert – im Restaurant nahmen sich die Kellner des kleinen Baschar an und spielten mit ihm, solange wir speisten. Das hatte sie noch nie erlebt.
Im Libanon atmete man seit jeher eine freiere Luft als in den übrigen arabischen Ländern. Es gab dort eine unabhängige Presse und ausländische Zeitungen, es gab Parteien, es gab ein lebendiges politisches Leben, es gab sogar eine allgemeine Leidenschaft für die Politik, sowohl unter Palästinensern als auch unter Libanesen – man war nicht einmal davor sicher,
im Café vom Kellner in ein politisches Streitgespräch verwickelt zu werden. In Beirut kannte ich viele Menschen, auch mein alter Freund Nabil, seine Frau und seine Schwester gehörten zu unserem Kreis, und selbstverständllich ging es, sobald wir abends zusammensaßen, um Politik. Das war ein völlig anderes Leben als in Algier, und auch Benita bildete sich bald ihre Meinungen und wagte sich damit in
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