Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
– die PLO hatte seit zwölf Monaten keinen Schuss mehr auf israelisches Gebiet abgegeben und sollte auf diese Weise zu einer militärischen Reaktion ermuntert werden. Doch der gewünschte Erfolg blieb aus; Arafat hielt still, weil er über die Pläne Scharons informiert war. Da verübte ein Killer Abu Nidals am 3. Juni 1982 ein Attentat auf den isarelischen Botschafter in London. Begin rief umgehend sein Kabinett zusammen, und als ihm sein Sicherheitsberater zu erklären versuchte, wer Abu Nidal sei, unterbrach er ihn mit den Worten: »Abu Nidal, Abu sonstwas … alles PLO!« Am selben Tag begann die israelische Luftwaffe mit der Bombardierung Beiruts, zwei Tage später marschierten die israelischen Landstreitkräfte mit 75 000 Mann, 1200 schweren Panzern und 1500 leichteren Panzerfahrzeugen im Libanon ein. Nach wenigen Tagen erhöhte sich die Zahl der israelischen Soldaten auf 120 000. Ihnen standen auf palästinensischer Seite 23 000 Kämpfer mit knapp 600 Panzerfahrzeugen gegenüber.
Auf ihrem Vormarsch griff die israelische Armee die Flüchtlingslager im Süden des Libanons mit den modernsten amerikanischen Kampfbombern und Panzern an. Von See her nahmen Kriegsschiffe die libanesische Küste unter Beschuss. Der Südlibanon ging in Flammen auf. Schulen, Krankenhäuser, Kulturzentren, die gesamte soziale Infrastruktur der Palästinenser wurde vernichtet. Von den Flüchtlingslagern blieben Trümmerhaufen und Krater aus Wellblech und Steinen übrig. Tausende starben, Zehntausende flohen nach Norden. Tyros und Saida (Sidon), Städte, die zu den ältesten der Erde gehören, wurden zu 70 Prozent zerstört. Nach fünf Tagen stand die israelische Armee vor Beirut, kurz darauf schloss sich der Belagerungsring um West-Beirut, wo nun knapp 6000 Fedajin und über eine halbe Million Zivilisten eingeschlossen waren.
Arafat weigerte sich, Beirut zu verlassen und die Verteidigung von Damaskus aus zu organisieren, wie man ihm vorgeschlagen hatte. Er bereitete sich ernsthaft darauf vor, als Märtyrer zu sterben, und blieb in der belagerten Stadt. Wer ihn kannte, war von seiner Entscheidung nicht überrascht, denn Arafat ließ seine Leute nie im Stich. Sich selbst in Sicherheit zu bringen, während andere kämpften, war für ihn völlig undenkbar. Er mochte nicht die Unerschrockenheit eines Abu Dschihad, nicht die Kaltblütigkeit eines Abu Iyad besitzen, aber er wusste, wie viel von seiner Präsenz abhing; er war bereit, sich zu opfern, und verließ sich im Übrigen – so vermute ich – auf sein einzigartiges Gespür für Gefahr. 1977, nach einem schweren Luftangriff der Israelis, fuhr ich mit ihm zu den bombardierten Flüchtlingslagern im Südlibanon. Jederzeit musste mit einem neuen Angriff aus der Luft gerechnet werden, aber Arafat stand da, mitten unter den Leuten, nicht einmal durch eine kugelsichere Weste geschützt, und sprach seinen Kämpfern Mut zu, redete mit Jung und Alt, nahm den einen bei der Hand, umarmte einen anderen und forderte alle auf, nicht wegzulaufen, sich nicht mehr vertreiben zu lassen, den Israelis nicht denselben Gefallen zu tun wie 1948.
So besuchte er sämtliche Lager von morgens bis tief in die Nacht. Wenn es um seine Leute ging, schenkte er der Gefahreinfach keine Beachtung. Deshalb musste ich den österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky auch enttäuschen, als er mit mir nach dem Ende des Libanonkriegs seine Absicht besprach, Arafat in Wien Asyl zu bieten. Wahrscheinlich stammte dieser Plan von Issam Sartawi, der wohl davon ausging, dass Arafat mit Wien über einen zentral gelegenen Stützpunkt verfügen würde, von dem aus er sich frei bewegen könnte. »Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, diese Idee nicht weiter zu verfolgen«, unterbrach ich Kreisky, bevor er mit mir die Einzelheiten besprechen konnte. »Für Arafat käme dieses Angebot
einer Beleidigung gleich. Arafat würde eher seinen Tod in Kauf nehmen, als die Möglichkeit eines europäischen Asyls in Betracht zu ziehen.«
Arafat blieb also in Beirut und erlebte in den nächsten zwei Monaten, wie die Stadt um ihn herum unter den Angriffen der israelischen Luftwaffe in Schutt und Asche sank. An einem einzigen Tag, dem 15. August, starben mehr als dreihundert Menschen, die meisten von den Trümmern ihrer zusammenstürzenden Häuser erschlagen, nachdem die Israelis West-Beirut fünfzehn Stunden lang ununterbrochen mit Streu- und Phosphorbomben angegriffen hatten. Tatsächlich schienen die Zivilisten für Israel gar nicht zu
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